Immer wieder wird der US-amerikanische Ölkonzern Chevron mit seiner Altlast konfrontiert: Chevron hat Texaco im Jahr 2001 übernommen und damit auch die rechtlichen Folgen aus der Ölkatastrophe, die Texaco seit den 70er Jahren im Amazonasgebiet von Ecuador angerichtet hat. So auch am 27.5.20 auf der Jahreshauptversammlung der Aktionäre: Neben anderen prominenten Künstlern und Nobelpreisträgern richtete der bekannte Schauspieler und Produzent Alec Baldwin in einer Videoansprache an die Aktionäre knallharte Vorwürfe an die Geschäftsleitung: das Urteil des Obersten Gerichtshofs von Ecuador aus dem Jahre 2011 über 9,6 Mrd. $ Strafe sei nach wie vor gültig, und Urteile in den USA, dass Chevron nichts bezahlen müsste, würden sich auf einen Hauptzeugen stützen, der später selbst zugab, dass er gelogen hat. Es sei verantwortungslos, Aktionärsgelder für Einschüchterungen und juristischen Tricks zu verwenden, denn mit dieser Haltung werde Chevron zum „Harvey Weinstein der Ölindustrie“, der letztlich im Gefängnis landete.
Dass Steven Donziger, der Anwalt, der den Opfern der Ölkatastrophe zum gerichtlichen Sieg in Ecuador verholfen hat, heute – 2020 – mit Berufsverbot und elektronischen Fussfesseln in seiner Wohnung in New York im Hausarrest festsitzt, ist nur die Spitze der juristischen Obzönitäten, die sich im Laufe der nunmehr 27 Prozessjahre angehäuft haben. Die ASTM und das Klima-Bündnis Lëtzebuerg haben über viele Jahre lang die Menschen in der Ölregion unterstützt und den Prozess verfolgt. Hier und in den beiden folgenden Ausgaben des brennpunkt 3. Wëlt werden wir aufarbeiten, wie es soweit kommen konnte und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Texaco in Ecuador
„Hier liegt mein jüngster Sohn. Er wurde nur zwei Tage alt.“ Es sind solche Begegnungen mit mestizischen Bauern oder Indigenen, die einem unter die Haut gehen. Fehlgeburten sind im Oriente, der Amazonasregion im Osten Ecuadors, an der Tagesordnung; sie sind hier mehr also doppelt häufig wie in der Hauptstadt Quito. Oder mit Leuten, wie zum Beispiel Modesta Briones, der die Ärzte wegen des Tumors ein Bein unterhalb des Knies wegamputiert haben. Ihr Haus liegt nahe der Ölquelle Parahuaco Nr. 2, und sie lief jahrelang wie alle hier mit Flipflops oder barfuß über die Wege, die Texaco mit Öl getränkt hat, damit sie nicht so stauben wie in Texas.
Ein Boom – aber nicht für jeden
Aber der Reihe nach: 1964 erteilte Ecuador seine erste Konzession für die Förderung von Rohöl an Texaco: 10.000 qkm im Regenwald des tropischen Amazonstieflands im Osten Ecuadors. Um durch die Schallwellen die höffigsten Bohrstellen innerhalb des Konzessions-gebietes zu finden, zündete Texaco Sprengladungen im Boden und rodete den Wald für Landeplätze, Straßen, Öl- und Stromleitungen.
Die erste Quelle – der Pozo Nr. 1 – sprudelte am 16.2.1967 bei Lago Agrio, das sich durch den Zustrom von Siedlern aus dem Hochland und von der Küste auf der Suche nach Arbeit schnell zum Zentrum der Ölregion entwickelte. Innerhalb einer Generation versechsfachte sich die Bevölkerung des Oriente auf über eine halbe Million. Bei den größeren Ölfeldern und an den Knotenpunkten der Ölstraßen entstand weitere Städte wie Coca, Sacha und Sushufindi.
Für die Indigenen hingegen, die dort lebten, sollten sich die Lebensbedingungen drastisch verschlechtern; sie waren es gewohnt, das Wasser der Flüsse zu trinken, darin zu baden und ihre Kleider zu waschen ; ihre Kinder plantschten und spielten darin. Der Stamm der Tetetes, der in dieser Gegend lebte, starb binnen weniger Jahre aus. Die Indigenen wurden zur Minderheit in ihrer Heimatregion – die Ölförderung zerstörte schlicht und einfach ihren Lebensraum und ihre Lebensweise, die eine intakte Natur voraussetzte und erhielt.
Tödliche „Piscinas“
Bei der Förderung tritt Formationswasser, ein salziges Gemisch aus Wasser, Öl und Schlamm, mit aus, das Zyankali u.a. Salze sowie Schwermetalle wie Blei, Arsen, Quecksilber, Vanadium und radioaktive Elemente wie Strontium 90 und Radium 226 enthält. Texaco schied es vom Rohöl ab und liess es einfach in sogenannte « piscinas » einlaufen – aus der Erde ausgehobene Becken, die nach unten nicht isoliert waren. Seit nunmehr über 50 Jahren versickert dieser Brei langsam aus über 1000 “piscinas” in den Boden und das Grundwasser. Wenn es stark regnet, laufen die Becken einfach über in den nächsten Bach dahinter.
Die zugewanderten Mestizen, die sich eine Existenz als Bauern aufgebaut haben, wohnen verstreut inmitten ihrer Felder in der Ölregion; ihr Wasser beziehen die meisten aus eigenen Brunnen, dh aus dem Grundwasser).
Die Gifte lagern sich in Algen, Fischen und trinkenden Wildtieren ab und gelangen damit in die menschliche Nahrungskette; sie verursachen Erbrechen, Haut- und Lungenkrebs und Missbildungen.
Texaco hat so rund 64 Millionen Liter Öl und 76 Milliarden Liter giftiges Förderwasser in Flüsse und Seen « entsorgt », obwohl es längst nicht mehr den Standards der Förderung in den USA entsprach und Ecuador 1971 und 1972 Gesetze zum Schutze von Flora und Fauna und der Gewässer erlassen hatte – es war halt die billigste Lösung.
“Dass die Piscinas nicht nur Ursache für die Trinkwasserverschmutzung, sondern für die Belastung der gesamten Lebensmittelkette und somit für die Gesundheitsprobleme der Menschen dort sind, war mir vorher nicht richtig bewusst. Das Ausmaß der Schäden, welche die Ölförderung verursacht, wo wir alle nicht ganz unschuldig dran sind, und die scheinbare Ausweglosigkeit haben mich sehr beeindruckt.” (Stéphanie Zimmer, Teilnehmerin der Klima-Bündnis-Studienreise nach Ecuador in 2017)
Schwarzer Regen durch „Mecheros“
Mit dem Öl strömen Methan, Schwefelwasserstoff, Schwefeldioxid, Stickoxide sowie Kohlenmono- und –dioxid aus dem Boden. Diese können zu Kopfschmerzen, Erbrechen, Reizungen, Lungenkrebs, körperlichen Mißbildungen, Ohnmacht, Lähmungen und Herz- und Hirnschäden führen; die Sterblichkeit bei Neugeborenen erhöht sich. Texaco fackelte das Methan in sogenannten «mecheros » einfach ab, insgesamt 6,6 Milliarden Kubikmeter. Viele Anwohner der «mecheros » kennen saure Regen, die wie Asche Haus und Hof einschwärzen können.
Nicht nur in Ecuador, sondern in vielen Ölregionen der Welt – vor allem in Nigeria und Sibirien – fackeln die Ölkonzerne nach wie vor Methan ab. Jährlich werden weltweit ca. 16 Mrd. Kubikmeter Gas abgefackelt. Dies setzt jährlich rd. 30 Mio Tonnen CO2 frei – etwa das Zehnfache der Emissionen von Luxemburg. |
Pipelines, die brechen
Die Pipelines rosten in dem feuchtheißen Klima schnell . Jede Woche ereignet sich irgendwo im Oriente ein Rohrbruch. Dann schiesst das Öl in Kaskaden in die Umgebung; oft entzündet es sich dabei. Das Öl enthält krebserregende aromatische und polyzyklische Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle und radioaktive Elemente, sein Schwefeldioxid kann Lungen- und Kehlkopfkrebs und Mißbildungen bewirken. Mehrere Studien über die Gesundheitsrisiken der Bevölkerung im Oriente haben ergeben, dass dort das Risiko, an Krebs zu sterben dreieinhalbmal
höher als in Quito ist und die Rate der Fehlgeburten zweieinhalbmal so hoch.
Mit all diesen Kollateralschäden – den undichten Ölbecken, dem Abfackeln des Methans und den regelmäßigen Pipelinebrüchen ¬ verursachte Texaco das größte Umweltdesaster an, das je ein Ölkonzern in Lateinamerika angerichtet hat.
Texacos Rückzug
Wen wundert’s, dass sich allmählich immer mehr Indigene und Zuwanderer Fragen stellten, wo die vielen Krankheiten eigentlich herkommen. Womöglich war das Öl gar nicht so gut für Haut, wie Texaco streuen ließ. Zudem starben viele Haustiere, gab es immer weniger Fische, aber dafür mehr Tiere mit Mißbildungen. Für viele arme Zuwanderer von der Küste und aus den Anden sollten sich ihre Träume auf ein Leben mit einem sicheren Job in der Ölindustrie nicht erfüllen, und so stieg allmählich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung.
Nach über zwei Jahrzehnten verstaatlichte Ecuador schließlich 1990 Texaco. 220 Milliarden Liter Erdöl hatte die Firma gefördert.
Die staatliche Ölfirma Petroecuador übernahm die Anlagen – und förderte im gleichen Stil weiter, Texaco hatte die Norm gesetzt, wie man sowas professionell macht. Der Staat vergab weitere Konzessionen an andere Ölfirmen, die Einnahmen aus dem Ölexport betrugen über Jahre hinweg um die 40% des Staatshaushalts. Ecuador war durch seine Ölreserven kreditwürdig geworden und verschuldete sich immer mehr, so dass das Land immer weiter Öl exportieren musste.
Die Klage gegen Texaco
Vom September 1992 bis April 1993 untersuchten Ärzte und Wissenschaftler der Harvard-Universität die Umweltschäden im Oriente, organisiert vom Centro de Derechos Economicos y Sociales in Quito. Die Resultate waren so alarmierend, dass am 3. Nov. 1993 15 Siedler und Indigene gemeinsam eine Klage gegen Texaco in New York, dem Sitz der Firma, einreichten. 30.000 Menschen schlossen sich der Klage an. Da diese Klage im Interesse der gesamten Region war, konstitutierte sich im Laufe der folgenden Monate in intensiven Diskussionen aus Bauern-,Frauen-, Menschenrechts-, Jugend- und Stadtviertels-Organisationen, dem Fondo Ecuadoriano Populorum Progressio sowie indigenen Verbänden der Siona, Cofan, Secoya, Huaorani und Kichwa die “Frente de Defensa de la Amazonia”, die am 16.5.94 als formelle Struktur der Kläger gegründet wurde. Luis Yanza von der Coordinadora Popular del Nororiente wurde ihr Präsident.
Die Frente führte die Entscheidungen der « Vollversammlung der von TEXACO Betroffenen », der « Asamblea de Delegados de los Afectados por Texaco», aus und organisierte Demonstrationen, Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit, um politischen Druck aufzubauen. Sie war (und ist) eine der wenigen Organisationen Ecuadors, in denen Indigene und Mestizen sich gemeinsam engagieren, da sie sich sonst wegen Land-konflikten, sozialen Unterschieden und ethnischen Vorurteilen häufig ablehnend gegenüberstehen.
Parallel, aber unabhängig von dem Prozess, schloss Texaco 1995 ein Abkommen mit dem ecuadorianischen Staat : Es erkannte an, dass es Schäden angerichtet hat und gab 40 Mio.$ für ein Hilfsprogramm incl. der Reinigung von gut einem Drittel der giftigen Becken aus. Dieses Abkommen sollte später noch eine wichtige Rolle in den sich anbahnenden Prozessen spielen.
Aber davon und der gesamten Prozesslawine reden wir in der nächsten Ausgabe des Brennpunkt Drëtt Welt…