Fahrerflucht

Wie die Industrieländer sich ihrer Verantwortung für die Verluste und Schäden durch den Klimawandel entziehen.

 

In der Nacht zum 1.6.2018 bekamen die Bewohner und Touristen in der Region Müllerthal einen Vorgeschmack auf das, was uns der Klimawandel hier in Luxemburg noch alles bescheren wird. Immerhin dürfte es uns nun leichter fallen zu verstehen, was es heißt, dass die Hurrikanschäden letztes Jahr im September auf der Karibik-Insel Dominica mehr als das Doppelte ihres Bruttosozialproduktes betrugen. Während unsere Regierung den Anwohnern Hilfe in Millionenhöhe zusagen konnte (weil wir ein reiches Land sind), warten die kleinen Inselstaaten und ärmsten Länder bisher vergeblich darauf, dass die Industrieländer zu ihrer Verantwortung für den globalen Klimawandel stehen und Mittel für die Schäden und Verluste, die ihre Emissionen anrichten, aufbringen. Ganz im Gegenteil: Sie begehen Fahrerflucht.

Seit der Jahrtausendwende versuchen die Entwicklungsländer, Schäden und Verluste zu einem eigenständigen Thema auf den Klimagipfeln zu machen (vgl. Artikel „Verluste und Schäden durch den Klimawandel…“ im Brennpunkt Drëtt Welt Nr. 301 vom März 2018). Doch sie laufen gegen Gummiwände: Es fehlt schlicht und einfach der politische Wille der Industriestaaten, sich zu den Folgen ihres Handelns zu bekennen. Auch im Paris Agreement von 2015 wurde „Loss and Damage“ nur zu einem eigenen Punkt erhoben, weil insbesondere die USA durchsetzen konnten, dass daraus keine finanziellen Ansprüche an die Länder mit hohen Emissionen abgeleitet werden können: ein Pyrrhus-Sieg für vom Klimawandel am stärksten betroffene Staaten und Menschen.

Um dieses Thema in Luxemburg auf die politische Tagesordnung zu hieven, hatte die ASTM gemeinsam mit Caritas Luxemburg am 30.5.18 Bruno Nicostrate von ACT Alliance EU zu einem Workshop und einem Lunch-Débat eingeladen. Er ist Policy Officer Climate Change and Development für seine Organisation (vormals APRODEV) bei der EU in Brüssel. Ein Gespräch mit der Umweltministerin Carole Dieschbourg schloss sich an. Der folgende Text basiert auf einem Positionspapier von Bruno Nicostrate zur Art und Weise, wie mit dem Thema in der internationalen Klimapolitik umgegangen wird. Der wichtigste Mechanismus dazu ist der „Warsaw International Mechanism“, der auf massiven Druck der klimaverletzlichsten Länder und der globalen Zivilgesellschaft auf dem Klimagipfel 2013 zu Warschau ins Leben gerufen und mit einem Exekutivkomitee ausgestattet wurde.

Was läuft schief mit dem Warschau-Mechanismus?

In den fünf Jahren seit 2013 hat das Exekutivkomitee lediglich über die Verstärkung von Fachwissen und Dialogen über Schäden und Verluste, aber nicht über Aktivitäten wie Technologien und finanzielle Unterstützungen diskutiert. Es trifft sich nur zweimal im Jahr. Die meisten Experten (je zur Hälfte aus Industrie- bzw. Entwicklungsländern) verfügen nicht über ausreichend Manpower und Budgets für Untersuchungen. So bekannte Cornelia Jager, die Chefunterhändlerin der EU, die auch für Österreich im Exekutivkomitee des Warschau-Mechanismus sitzt, im vorigen Dezember auf dem Klimagipfel 23 zu Bonn öffentlich, dass das Exekutivkomitee überhaupt nicht ausreichend mit finanziellen und personellen Mitteln ausgestattet ist, um seine Aufgaben zu erfüllen – eine Aussage, die von anderen EU-Unterhändlern dann während der COP totgeschwiegen wurde.

Das passt zur Tatsache, dass viele Unterhändler der Industriestaaten die Verhandlungen in die Länge ziehen und offensichtlich gar nicht vorankommen wollen. Das Ganze ergibt ein Bild, dass der Warschau-Mechanismus dazu dient, dass das Thema „Verluste und Schäden“ aus den eigentlichen Gipfelverhandlungen gezielt herausgehalten wird.

Auf dem Klimagipfel zu Bonn wurde auch der sogenannte „Suva Expert Dialogue“ beschlossen. Er war als zweitägiges Expertentreffen zu „Loss and Damage“ Anfang Mai dieses Jahres in Bonn vorgesehen. Tatsächlich wurden daraus zwei knappe halbe Tage, bei denen die Industrieländer vor allem durch Abwesenheit oder Passivität glänzten. Lediglich Deutschland brachte über seine Entwicklungsagentur GIZ das Thema „Versicherungen“ ein (die Rückversicherung Munich Re ist seit Jahren beim Thema Klimawandel und auf den Gipfeln präsent). Allerdings haben Versicherungen den Nachteil, das sie normalerweise von den Versicherten (und nicht den Verursachern) aufgebracht werden und nicht alle Kostenfälle decken (vor allem schleichende Verschlechterungen der Umwelt); ihr Vorteil: ein neues Geschäftsfeld. Eine Vertreterin der EU-Kommission brachte das Beobachtungssystem „Kopernikus“ ins Spiel, für das die meisten Entwicklungsländer weder die nötigen Ausstattungen noch Finanzmittel haben.

Um aus dieser gezielt verfahrenen Situation herauszukommen, macht ACT Alliance EU eine Reihe von Vorschlägen, die Bruno Nicostrate auch der Umweltministerin übermittelt hat (hier eine Auswahl):

Was müsste zum Thema „Loss and Damage“ geschehen?

– „Loss and Damage“ muss ein regelmäßiges Thema in den Klimaverhandlungen werden.
– Es muss Bestandteil des „Global Stocktake“ werden, der alle fünf Jahre stattfindenden globalen Bestandsaufnahme der Aktivitäten aller Staaten gegen den Klimawandel. Daher muss es auch neben den Themen Reduktion und Anpassung Bestandteil der nationalen Aktionspläne werden, die die Länder dem UN-Klimasekretariat liefern (viele arme Länder und Inselstaaten tun dies bereits).
– Der Warschau-Mechanismus soll finanziell so ausgestattet werden, dass er seine Aufgaben erfüllen kann und insbesondere Studien und Konsultationen mit Betroffenen durchführen kann. Er soll Register mit vergleichbaren Kriterien und Daten koordinieren, die auch nicht-ökonomische Fakten einschließen. Er soll zudem einen Fahrplan für einen „Global Loss & Damage Fund“ und Vorschläge für zinsfreie „Catastrophe Climate Bonds“ für arme und verletzliche Länder ausarbeiten sowie eine Expertengruppe ins Leben rufen, die neue Finanzierungsquellen wie zum Beispiel Steuern auf Kohlenstoff und Umlagen für fossile Konzerne erschließen.
– UNFCCC, UNDP, UNESCO und UNEP sollen gemeinsam ein Dokumentations- und Beratungszentrum für nicht-ökonomische Schäden und Verluste aufbauen und 2020 eine internationale Konferenz dazu organisieren. Zu nicht-ökonomischen Schäden und Verlusten zählt man Verluste, die nicht in Geld bewertet werden können, zum Beispiel an Leben, Gesundheit und Wissen, an Biodiversität, Ökosystemen und Land, an sozialem Zusammenhalt, Identität und Selbstbestimmung; all dies sind Faktoren, die letztlich zu Binnenflucht und Auswanderung führen können. Das spezielle Visum für Klimaflüchtlinge, das Neuseeland eingeführt hat, kann ein Beispiel für andere Länder sein.
– Um die Risiken durch Schäden und Verluste im Vorfeld zu mindern, sind präzisere Wettervorhersagen und verbesserte Klimadienste nötig.

Was können wir hier von Luxemburg aus tun?

Nach Auskunft der Umweltministerin findet im September (voraussichtlich am 24.9.) ein sogenannter „Tanaloa-Dialogue“ der drei Benelux-Staaten statt. Diese Art Gespräche auf allen Ebenen wurden auf dem letzten Klimagipfel in Bonn vereinbart, um die Klimaziele und Aktionen der Staaten zu intensivieren. Sie hat die Organisationen der Zivilgesellschaft wie etwa das NGO-Netzwerk Votum Klima eingeladen, sich hier einzubringen. Das Klima-Bündnis Lëtzebuerg hat in seinen Wahlforderungen vom Januar dieses Jahres bereits die Regierung aufgefordert, Institutionen zum Schutz von Klimaflüchtlingen stärker zu unterstützen. Über das Internationale Klima-Bündnis können wir auch mithelfen, dass „Loss and Damage“ als Thema auf dem nächsten Klimagipfel Anfang Dezember im polnischen Kattowice stärker repräsentiert wird als bisher.

Es sind immer die Armen und Marginalisierten, die die stärksten Schäden und Verluste durch den Klimawandel erleiden, egal ob Bauern, Fischer, Indigene, Nomaden oder Slumbewohner. Wir sollten die jüngsten Überschwemmungen in der Region des Müllerthals als Menetekel ansehen, das uns zeigt, was uns hier im „sicheren“ Ländchen noch alles bevorsteht, ein Ereignis, das uns auch hilft, besser zu verstehen und mitzufühlen, was bereits jetzt schon in vielfach stärkerem Maße die Armen dieser Welt trifft. Wir brauchen jetzt keine Scheuklappen, sondern auch Solidarität mit denjenigen, die der Klimawandel am stärksten trifft.

Dietmar Mirkes, Mitglied der ASTM

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