“Gesetze, die zum Schweigen bringen“

Anti-NGO Gesetze und die Schließung des zivilen Raumes in Lateinamerika

Weltweit lässt sich gegenwärtig eine Verengung des zivilgesellschaftlichen Raumes beobachten, mit schwerwiegenden Folgen für Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Besonders besorgniserregend ist der Zustand des zivilen Raumes in Lateinamerika, wo ein eindeutiger Trend zur Schließung dieses Raumes zu beobachten ist. Lateinamerika ist sowohl die ungleichste Region der Welt als auch die gefährlichste für Menschenrechtsverteidiger. Mehrere (immer mehr?) lateinamerikanische Regierungen missbrauchen gesetzliche, finanzielle und andere Maßnahmen, um diejenigen zu unterdrücken, die ihnen nicht passen. Eine beliebte Maßnahme war in den letzten Jahren die Einführung juristischer Mechanismen, also Gesetze, die den Bewegungsspielraum der Zivilgesellschaft einschränken. Solche Gesetze werden dazu benutzt, die Opposition zu zensieren, Kritiker zum Schweigen zu bringen und zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen einzuschränken oder zu unterbinden.
Derartige Gesetze wurden aber nicht nur von autokratischen Regimen erlassen wie etwa in Nicaragua, wo 2020 ein „Gesetz zur Regulierung ausländischer Agenten“ verabschiedet wurde. Jede Person oder Organisation, die Gelder aus dem Ausland erhält, muss sich unter Androhung von Sanktionen beim Innenministerium als ausländischer Agent registrieren lassen, was zur Schließung, Selbstzensur oder Verlagerung ins Ausland von NGOs geführt hat. Auch Staaten, die (noch) als Demokratien gelten, haben restriktive, gegen die Zivilgesellschaft gerichtete Gesetze angenommen oder sind dabei, dies zu tun, wie etwa Guatemala und Peru.

Guatemala

In Guatemala trat im Juni 2020 ein Gesetz in Kraft, welches die Regierung befugt, eine NGO zu deregistrieren, und zwar ohne Gerichtsentscheidung und Möglichkeit zur Verteidigung für die betroffene Organisation. NGOs müssen sich darüber hinaus in ein Register des Innenministeriums eintragen lassen, ihre finanziellen Bilanzen veröffentlichen, und das Außenministerium informieren, wenn sie Spenden aus externen Quellen erhalten, wodurch die Regierung die Kontrolle über internationale Hilfsgelder erhält.

Die guatemaltekische Zivilgesellschaft in Aktion. 2015 führten Proteste gegen den korrupten Präsidenten und Ex-General Otto Pérez Molina zu dessen Rücktritt. Doch die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft werden immer stärker eingeschränkt.
(Wikimedia; Eric Walter; CC BY-SA 4.0)

Befürworter des Gesetzes argumentierten, das Gesetz sei notwendig, da es bei der Verwaltung öffentlicher und internationaler Gelder zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei und diese in einigen Fällen dazu benutzt worden seien, die Regierung zu destabilisieren und „einer internationalen Agenda“ zu dienen – dieselben Argumente übrigens, mit denen die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) 2019 abgesägt wurde.
Das Gesetz wurde sowohl innerhalb des Landes wie auch international heftig kritisiert. Die guatemaltekische Zivilgesellschaft wies darauf hin, dass das Gesetz der Exekutive die fast absolute Macht gibt zu entscheiden, wer sich äußern und organisieren darf, und wer nicht. Man befürchtete, dass das Gesetz als Instrument zur gezielten Kriminalisierung bestimmter Organisationen und Personen genutzt werden könnte. Auf internationaler Ebene erklärten die Vereinten Nationen, dass das Gesetz gegen internationale Menschenrechtsstandards verstoße und die Gefahr berge, die lebenswichtige Arbeit der Zivilgesellschaft zu ersticken. Die ASTM-Partnerorganisation ASERJUS verwies darauf, dass das Gesetz auch lokale, gemeindebasierte Organisationen betrifft, einschließlich indigener Organisationen, dass aber deren Recht auf vorherige Konsultation gemäß der ILO-Konvention 169 nicht beachtet wurde.
Infolge der Verabschiedung des Gesetzes wurden dann auch Hunderte von NGOs in Guatemala suspendiert. Zwar wies ein Gericht das Innenministerium Ende 2022 an, die Suspendierung von 1.200 NGO aufzuheben, und das Verfassungsgericht erklärte 2023 Teile des Gesetzes für verfassungswidrig. Dennoch ist das Gesetz weiter in Kraft und es gibt Anzeichen dafür, dass besonders Menschenrechtsorganisationen von den Maßnahmen betroffen sind, stärker noch als etwa humanitäre oder Entwicklungsorganisationen. Menschenrechtsorganisationen haben Mühe, ihre Arbeit unter dem starken Druck fortzusetzen, und sind manchmal sogar gezwungen, ihre Tätigkeit ganz einzustellen. Ein Beispiel dafür ist die freiwillige Auflösung der Organisation ACOGUATE im Jahr 2023 nach einer gegen sie gerichteten Kampagne der Kriminalisierung, Verleumdung und Einschüchterung.

Peru

In Peru hat das Parlament zwischen Oktober 2023 und April 2024 ganze sechs Gesetzesentwürfe diskutiert, die die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen und von Institutionen, die Mittel für die internationale Zusammenarbeit erhalten, einschränken würden. Im Juni 2024 wurden diese Vorschläge von der Kommission für auswärtige Angelegenheiten im Parlament angenommen und müssen jetzt (Stand Oktober 2024) noch im parlamentarischen Plenum zur Abstimmung gebracht werden.
Eine zentrale Rolle bei den geplanten Gesetzesänderungen kommt der APCI (Agencia Peruana de Cooperación Internacional) zu, der peruanischen Agentur für internationale Zusammenarbeit. Die APCI ist eine dem Außenministerium unterstellte öffentliche Einrichtung, die internationale technische Zusammenarbeit organisiert und überwacht. Die APCI darf bereits jetzt die Mittel von NGOs kontrollieren, welche aus der internationalen Zusammenarbeit stammen. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen würden die Aufgaben der APCI noch erweitern, um politische Aktivitäten von NGOs zu überwachen.
Die internationale Gemeinschaft in Peru hat sich eindeutig gegen die Gesetzesentwürfe ausgesprochen. So warnt das peruanische Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, dass die Überwachung durch die APCI in die internen Strukturen von NGOs eingreife und deren Rechte einschränke. NGOs würden verpflichtet, über die Verwendung ausländischer Mittel Bericht zu erstatten und ihre Finanzdaten im Detail zu veröffentlichen, was eine unangemessene Einschränkung der Vereinigungsfreiheit darstellt. Die APCI könnte rechtliche Schritte gegen NGOs einleiten, was zu willkürlichen Maßnahmen führen könnte. Alle Organisationen, die Mittel zur internationalen technischen Zusammenarbeit erhalten, sollen verpflichtet werden, sich bei der APCI zu registrieren; eine solche obligatorische Registrierung widerspricht jedoch internationalen Standards.
Auch die ASTM-Partnerorganisation CooperAcción warnt, dass die vorgeschlagenen Gesetze NGOs, die der peruanischen Regierung und dem Parlament kritisch gegenüberstehen, ernsthaft gefährden. Die Änderungen würden das Recht der Zivilgesellschaft auf Vereinigungsfreiheit und freie Meinungsäußerung bedrohen und könnten zu Strafverfolgung durch die öffentliche Verwaltung führen, was die fragile peruanische Demokratie weiter schwächen würde.

Dringender Handlungsbedarf

Bereits vor fünf Jahren warnte Amnesty International vor einem alarmierenden weltweiten Trend der Einführung von „Gesetzen, die zum Schweigen bringen sollen“. Und das Tempo scheint sich zu beschleunigen, was sich in Lateinamerika besonders akut zeigt, mit kürzlich verabschiedeten Gesetzen in Venezuela und Paraguay (siehe unten).
Die Einführung solcher Gesetze, die oft mit dem Argument der Korruptionsbekämpfung oder der Wahrung der nationalen Sicherheit begründet werden, zielen in Wirklichkeit darauf ab, kritische Stimmen zum Schweigen und die Zivilgesellschaft unter Kontrolle zu bringen. Doch die Einschränkungen des zivilen Raumes sind nicht einfach nur auf die Bestrebungen einzelner Regierungen zurückzuführen, sondern es sind in der Regel auch internationale Wirtschaftsinteressen im Spiel. So schränken politische Machthaber den zivilen Raum nicht nur ein, um die Opposition gegen ihre Herrschaft zu unterdrücken, sondern auch, um ihre Verbündeten in der Wirtschaft zu beschützen. Vor allem in Sektoren wie der Agrar-, Immobilien-, und Bergbauindustrie haben privatwirtschaftliche Interessen die politische Klasse vereinnahmt. Zahlreiche Beispiele haben in den vergangenen Jahren immer wieder aufgezeigt, wie internationale Konzerne mit staatlichen Behörden (und ihren nichtstaatlichen Handlangern) zusammenarbeiten, um Aktivisten zu neutralisieren und Probleme unter Verschluss zu halten.
Die rapide Verschlechterung des zivilgesellschaftlichen Raumes ist eine globale Krise, die eine umfassende und kollektive Reaktion erfordert. Da ein offener ziviler Raum die Grundlage einer funktionierenden Demokratie ist und bürgerliche Freiheiten das Fundament bilden, auf dem andere Rechte und Freiheiten gestärkt und geschützt werden, besteht dringender Handlungsbedarf, um den Rückschritt umzukehren und den zivilgesellschaftlichen Raum zu schützen.

Anhang: Die Lage in Paraguay und Venezuela

In Paraguay wurde im Oktober 2024 ein von der Zivilgesellschaft als „Würge-Gesetz“ (ley garrote) bezeichnetes Gesetz verabschiedet, welches gemeinnützige Organisationen regeln soll, die öffentliche und private Mittel aus nationalen oder internationalen Quellen erhalten. Das Gesetz beeinträchtigt die Rechte auf Vereinigungsfreiheit, Meinungsäußerung, Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten und auf Verteidigung der Menschenrechte. Amnesty International zufolge bedroht das Gesetz zudem die Privatsphäre und die Sicherheit der Organisationen sowie ihrer Förderer.
In Venezuela hat die Nationalversammlung am 15. August 2024, inmitten einer Welle der Repression nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli 2024, ein Gesetz verabschiedet, das von Menschenrechtsaktivisten als “Anti-Gesellschaftsgesetz” (ley anti-sociedad) bezeichnet wird, da es die gesamte venezolanische Gesellschaft visiert. Das Gesetz schränkt die Rechte auf Vereinigungsfreiheit, freie Meinungsäußerung und Bürgerbeteiligung ein. Die internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu Venezuela hatte zuvor gewarnt, dass die Verabschiedung des Gesetzes einen Punkt darstellen würde, an dem es kein Zurück mehr gibt, was die Schließung des zivilen und demokratischen Raumes in Venezuela betrifft.

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