Das englische Wort „Slap“ bedeutet „Ohrfeige“. „Strategic lawsuits against public participation“, kurz: Slapps, ist eine neue Taktik, mit der große Konzerne oder Branchenverbände gegen unliebsame Kritiker aus der Zivilgesellschaft vorgehen, und zwar selbst, wenn ihre Gewinnchancen gering sind. Das Ziel ist nicht, Recht zu bekommen, sondern kritische Organisationen, die nicht über viel Geld und Personal verfügen, durch teure und langwierige Verfahren einzuschüchtern und lahmzulegen. Die ASTM war durch den Prozess von ChevronTexaco gegen ihren alten Partner Frente de Defensa de la Amazonia in Ecuador damit konfrontiert. Der folgende Artikel schließt die Serie über den Fall ChevronTexaco ab und zeigt, welche Folgen dieser Prototyp auch bei uns in Europa heute hat.
Erinnern wir uns: Im Oktober 2001 kauft der Ölkonzern Chevron seinen Konkurrenten Texaco mit all seinen Verbindlichkeiten und wird damit sein Rechtsnachfolger. Ende 2011, nach einem Durchlauf durch alle Instanzen hinauf, verurteilt das Oberste Gericht von Ecuador Chevron wegen Texacos Ölverschmutzung im Regenwald von Ecuador zu einer Strafe von 9,6 Mrd. $ – eine weltweite Höchststrafe und ein wegweisender Sieg der indigenen und mestizischen Bewohner der Ölregion und des Frente de Defensa de la Amazonia, der für sie die Klage führt und zu der Zeit Partner der ASTM ist.
Chevron, das schon vor dem Urteil mit dem Staat Ecuador vor Schiedsgerichten im Clinch liegt, erkennt das Urteil nicht an; der Leiter seiner Rechtsabteilung erklärt: „Wir werden das ausfechten, bis die Hölle zufriert – und dann werden wir es auf dem Eis ausfechten.“ Die Vollversammlung der Kläger konstituiert sich nun neu und nennt sich im April 2012 in „Union de Afectados y Afectadas por las operaciones petroleras de Texaco“, kurz UDAPT, um. Der Frente bleibt weiterhin die Organisation, die für sie den Prozess führt.
Da Chevron bereits vor der Urteilsverkündung alle Geldmittel bis auf eine Handvoll Dollar aus Ecuador abgezogen hat, sind die Kläger nun gezwungen, das Geld in anderen Staaten suchen zu gehen, wo Chevron tätig ist und Werte besitzt, und die ein Rechtsabkommen mit Ecuador haben. Doch ihre Klagen scheitern zunächst in Brasilien und dann in Argentinien; in beiden Ländern hat Chevron Milliarden in Konzessionen und Förderanlagen investiert (zum Beispiel in der Region Vacca Muerta in Argentinien, wo Chevron Gas fracken will) und entsprechenden Einfluß auf die Regierung und die Justiz ausgeübt.
In der kanadischen Ölprovinz Alberta baut Chevron Teersande ab und betreibt auch den Bau der Pipeline Keystone XL, die quer durch Indianerreservate führen soll (aber schließlich gestoppt wird). Dort wird die Klage zwar zugelassen und erhält massive Unterstützung durch die Sprecher der First Nations und bekannte Anwälte und Persönlichkeiten, aber auch hier wird die Klage abgewiesen: die kanadische Filiale von Chevron sei nicht verantwortlich für das, was Texaco in Ecuador angerichtet hat. M.a.W. obwohl es Rechtsabkommen mit Ecuador gibt, reicht das internationale Rechtssystem nicht aus, um die Umsetzung eines dortigen Urteils in anderen Staaten rechtswirksam zu machen – ein Freifahrtschein für alle globalen Player, die auf Umwelt- und Menschenrechte keine Rücksicht nehmen.
Die Front der Kläger spaltet sich
Chevron intensiviert nun seinen juristischen Mehrfrontenkrieg: Aus alten Rechtsstreitigkeiten zwischen Texaco und Ecuador leitet es eine Klage über 112 Millionen Dollar gegen Ecuador ab, die von einem US-amerikanischen Gericht 2016 anerkannt wird. Da der ecuadorianische Staatspräsident Correa sowohl das US-amerikanische als auch das ecuadorianische Urteil anerkennen muss, macht er Chevron den Vorschlag, die Summe von 112 Millionen $ auf ein Garantiekonto zu überweisen, bis der Rechtsstreit über die 9,6 Milliarden $ geklärt sei. Die Kläger ihrerseits wollen, dass diese 112 Millionen $ in ihren Fonds überwiesen werden, um ihre Klage in Kanada zu finanzieren und Schäden im Erdölgebiet zu beheben; Chevron lehnt den Vorschlag eines Garantiekontos ab und droht mit weiteren Klagen in den USA. Mittlerweile hat sich ein junger Jurist aus der Erdölregion, Pablo Fajardo, zum wichtigsten Anwalt des Frente in Ecuador entwickelt. In dieser Funktion stimmt er zu – allerdings ohne vorherige Rücksprache mit seinem Mandanten, dem Frente –, dass Ecuador am 22.7.2016 die 112 Millionen $ an Chevron überweist , „damit das Ansehen Ecuadors nicht beeinträchtigt wird, mit all den Folgen, die dies mit sich bringt“. Daraufhin entzieht ihm der Frente am 1.8.2016 sein Mandat. Dies führte zur Spaltung der Klägerfront: eine große Gruppierung der Repräsentanten der Asamblea de Delegados de los Afectados por Texaco (also der Vollversammlung der Kläger) hält jedoch an Pablo Fajardo fest, der sie fortan vertritt.
Der Bruch zwischen dem jungen engagierten Juristen Pablo Fajardo und den Autoritäten der Gründergeneration des Frente, den beiden ersten Präsidenten Luis Yanza und Ermel Chavez, sitzt tief. Beide Seiten fühlen sich gleich stark legitimiert: der Frente wurde von der Vollversammlung der Kläger mit der Prozessführung beauftragt, Pablo Fajardo beruft sich auf die Mitglieder der UDAPT, die zu ihm halten.
Die ASTM hat mit allen dreien vielfache persönliche Kontakte auf Studienreisen und Projektbesuchen in Ecuador (siehe Kasten „Studienreisen“) gehabt und Ermel Chavez und Pablo Fajardo zu Vorträgen nach Luxemburg eingeladen. Der Bruch führt auch dazu, dass Pablo Fajardo und andere wichtige Referenten von der „Schule der Dorfsprecher“ (siehe bp3w 3101) des Frente abspringen, also aus dem Projekt, das wir gemeinsam mit den Klimabündnis-Gemeinden jahrelang unterstützt haben. Für die ASTM bedeutet die Spaltung einer Partnerorganisation den „worst case“ und in diesem Fall das faktische Ende dieser Partnerschaft. Wir hielten nach dem Bruch Kontakt zu beiden Seiten; eine Vermittlung zwischen den beiden Lagern war leider nicht möglich.
Pablo Fajardo selbst schweigt sich in seinen Kommunikationen über die Auflösung seines Mandats durch den Frente aus und führt seinen Kampf im Namen der UDAPT weiter, so als gäbe es den Frente nicht. Auch in dem wunderschönen autobiographischen Cartoon über Pablo Fajardo2, tauchen leider weder der Frente noch sein Mandatsentzug auf.
Der Fall Donziger – Prototyp für künftige Taktiken gegen die Zivilgesellschaft
Die Verurteilung von Chevron in Ecuador 2011 war der gemeinsame juristische Erfolg vom US-amerikanischen Anwalt Steven Donziger und Pablo Fajardo. Chevron jedoch greift nicht nur das Urteil von Ecuador an, sondern auch Donziger selbst: Das Urteil in Ecuador sei durch ein falsches Gutachten und Bestechung zustandegekommen und Steven Donziger sei der juristische Anführer von Erpressern, die nur an das Geld von Chevron wollen. Chevrons Anwälte, die Kanzlei Gibson Dunn, basieren sich dabei auf den „Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act“, kurz RICO, ein 1970 erlassenes Bundesgesetz (das auf die Mafia zielte). Ab Oktober 2013 wird Chevrons Klage vor dem Gericht des Southern District von New York behandelt. Der Richter Lewis A. Kaplan entscheidet im März 2014 – allein, ohne Jury –, dass das 9,5 Mrd. $ Urteil in Ecuador das Ergebnis von Betrug und Erpressung und daher in den USA nicht vollstreckbar sei.
Damit nicht genug: Kaplan fordert Donziger auf, seinen Computer und sein Mobiltelefon zur Überprüfung durch Chevron herauszugeben; doch dieser weigert sich zu Recht, da diese Anordnung gegen die grundlegende anwaltliche Schweigepflicht verstößt.3
Kaplan klagt Donziger daraufhin wegen strafrechtlicher Missachtung des Gerichts an. Da die New Yorker staatliche Justizbehörde sich weigert, den Fall anzunehmen, da es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit handele, beauftragt Kaplan eine « private Staatsanwältin », die für eine Anwaltskanzlei arbeitet, mit der Strafverfolgung. Nach engen Beratungen mit den Anwälten von Gibson Dunn ordnet sie Untersuchungshaft für Donziger an; mit einer elektronischen Fessel am Fuß wird Donziger bis zur Urteilsverkündung länger als zwei Jahre in seiner Wohnung arrestiert sein.4 Außerdem gelingt es Kaplan und Gibson Dunn, den Beschwerdeausschuss der Anwaltskammer in New York dazu zu bringen, Steven Donziger ohne Anhörung die Anwaltslizenz zu entziehen.
In einer der parallel zum Fall Donziger laufenden Klagen gegen den Staat Ecuador gibt 2015 der ehemalige ecuadorianische Richter Alberto Guerra vor einem internationalen Schiedsgericht unter Eid zu, dass er in Kaplans Prozess gelogen hat, als er sagte, die Kläger hätten versucht, ihn zu bestechen; für diese Lüge habe er von Chevron 2 Millionen US-$ erhalten. Guerra war der zentrale Zeuge Kaplans, doch diesem Eingeständnis wird in den Verfahren in der US-Justiz keine Bedeutung zugemessen. Schließlich wird Steven Donziger im Oktober 2021 zur Höchststrafe von sechs Monaten verurteilt, ohne dass die über 800 Tage Hausarrest darauf angerechnet werden.
Während der Zeit des Hausarrests gibt es in den USA und international massive Kritik an der Willkür der US-Justiz bis hinauf zur UN, wo im November 2021 das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen, die oberste Menschenrechtsinstanz der Welt, entscheidet, dass der andauernde Hausarrest von Donziger gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) verstosse und die USA auffordert, ihn unverzüglich freizulassen und ihm ein «einklagbares Recht auf Entschädigung zu gewähren».5
Am 25.4.2022 wird Donziger in Freiheit entlassen, nachdem er fast 1000 Tage wegen einer Ordnungswidrigkeit arrestiert war. Doch damit endet diese Geschichte nicht: Chevron hat Donziger auf Millionen Dollar Verfahrenskosten verklagt und erreicht, dass auch die Anwaltskammer des Districts of Columbia (Washington) Steven Donziger die Anwaltslizenz im Juli 2022 entzieht.6 Er selbst ist ungebrochen, kämpft um seine Lizenz und sein Recht auf Entschädigung; er engagiert sich weiter für die Rechte von Indigenen. Auf der Stockholm +50 Climate Conference im Juni 2022 in Stockholm fordert er, „ecocide“ juristisch als Verbrechen einzustufen.7
Opfer und Täter
Die Hauptopfer sind und bleiben die Indigenen und Mestizen im verseuchten Erdölgebiet von Ecuador – sie müssen weiter auf verseuchtem Boden mit hohen Krebsraten, Fehlgeburten und Mißbildungen in ihren Familien leben und sterben, während Chevron – rechtmäßig verurteilt in Ecuador – weiterhin keinen Cent für die Wiederherstellung der Umwelt im Fördergebiet zahlt (zum Vergleich: der Umsatz Chevrons betrug allein im 2. Quartal 2022 68,8 und der Gewinn 11,6 Milliarden US-$8). Wer sich einen guten Überblick über die weltweiten Aktivitäten von Chevron verschaffen will, werfe einen Blick in die Studie „Chevron’s global destruction“9. Ihr Résumé: „Chevron scheint eindeutig die zerstörerischste und umstrittenste Öl- und Gasfirma der Welt zu sein, die routinemäßig und brutal Menschen- und Umweltrechte auf der ganzen Welt verletzt.“ Wer also an Tankstellen der Marke Texaco tanken möchte, sollte sich im Klaren sein, wem er da sein Geld gäbe.
Gibson Dunn ist ein globaler Rechtskonzern mit rund 1400 Anwälten und 20 Kanzleien weltweit, u.a. in München und Frankfurt. Sie haben u.a. in Deutschland große Autofirmen gegen den Staat im Skandal über gefälschte Abgasmessungen vertreten und die „grüne“ Stiftung „Plant-for-the-Planet“ ehrenamtlich beraten (Bäumchenpflanzen soll ja Ölverbrauch neutralisieren…).
Immer mehr „Ohrfeigen“ auch in Europa
Der Versuch Chevrons und seinen Anwälten von Gibson Dunn, einen für sie gefährlichen Anwalt fertigzumachen, ist ein Präzenzfall. Es geht letztlich nicht unbedingt ums Gewinnen, sondern darum, mit der Macht des Geldes und juristischen Winkelzügen Kläger personell, moralisch und finanziell einzuschüchtern und lahmzulegen. Solche sogenannten „Mißbräuchlichen Gerichtsverfahren“ werden mittlerweile auch in Europa als Waffe gegen NGOs, die sich für Umwelt- und Menschenrechte engagieren, Journalisten u.a. Organisationen der Zivilgesellschaft eingesetzt. Diese sogenannten „Strategic Lawsuits Against Public Participation“, kurz: „SLAPPs“10 bedrohen letzlich die Meinungsfreiheit und den Rechtsstaat. Ihre Zahl ist von 4 in 2010 in Europa auf 111 in 202111 gestiegen. SLAPP-Opfer wehren sich am besten, indem sie an die Öffentlichkeit gehen und sich untereinander solidarisieren. So ist CASE entstanden, die Coalition Against Slapps, ein Bündnis großer NGOs und Journalistenverbände12. Das CASE-Netzwerk hat der EU einen Entwurf für eine Anti-SLAPP-Direktive überreicht, die EU-Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt … affaire à suivre…
In der Gesamtschau bietet sich mit den Investor-State dispute settlements (ISDS), dem geplanten Energy Charter Treaty und den Slapps das Bild eines massiven Vorrückens der Interessen globaler Konzerne auf Kosten der Rechtssicherheit für die Bürger in demokratischen Staaten.
Quellen:
1) 17 Jahre bis zum Urteil – Chevron/Texaco – Die Geschichte eines Prozesses, Teil 2, Februar 2021
2) „Texaco – et pourtant nous vaincron“, Hg.: Les Arènes, Paris, 2019
3) Rex Weyler: Steven Donziger: The man who stood up to an oil giant, and paid the price, 26 February 2020
4) James North: Chevron’s Prosecution of Steven Donziger. Documents reveal a close collaboration between the oil giant, its law firm, and the “priv ate prosecutor” who sent the environmentalist lawyer to federal prison, The Nation, January 27, 2022, https://www.thenation.com/article/society/donziger-chevron-documents/
5) www.zivilpakt.de und: Daniela Gschweng: Steven Donziger ist frei – die Geschädigten warten noch immer, Infosperber 16.5.2022, https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/menschenrechte/steven-donziger-ist-frei-die-geschaedigten-warten-noch-immer/
6) Jack Fowler: Steven Donziger: The hits keep coming, National Review, July 29, 2022 9:45 PM https://www.nationalreview.com/corner/steven-donziger-the-hits-keep-coming/
7) https://www.youtube.com/watch?v=Xf46tcRTThY
8) https://nachrichtend.com/exxonmobil-und-chevron-brechen-gewinnrekorde-waehrend-gaspreisanstieg/
9) Dr. Nan M. Greer: Chevron’s global destruction Ecocide, Genocide and Corruption, 2021
10) Slapps: Regula Bähler, «SLAPP» und «SLAPP-back»: Goliath und David, medialex 02/22, 8. März 2022, https://doi.org/10.52480/ml.22.05
11) Markus Wanzeck: Klagen, um zu schaden, in: natur 8/22, 14.7.22, S. 32-36
12) https://www.the-case.eu/campaign-list/