Nicht erst im Rahmen des historischen Pariser Klimaabkommens wurde erkannt, dass eine globale Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise logischerweise neben Energiewenden auch Investitionswenden erfordern werden. Denn in einer globalisierten Wirtschaft, in welcher sich Kapital weitestgehend frei bewegt, stets auf der Suche nach den höchsten Profiten, wird in aller Regel nur dann ein Windrad statt eines Kohlekraftwerks – oder eine Schule statt einer Waffenfabrik – gebaut, wenn das Geschäftsmodell eine entsprechend höhere Rendite verspricht. Nun wird seit dem Pariser Abkommen intensiver, auch auf internationaler Basis, über eine Finanzwirtschaft diskutiert, die „sustainable“, also „nachhaltig“ sein soll. Doch was ist sustainable finance? Und wer definiert diese normative Frage? Also die Frage „Wie sollen“ nachhaltige Finanzen sein?
Der Begriff Nachhaltigkeit besagt klassischerweise, dass wesentliche Eigenschaften, Stabilität und natürliche Regenerationsfähigkeit eines Systems vorrangig zu bewahren sind. Demnach wären Finanzen nachhaltig, wenn sie stabil und reproduzierbar wären. Ich werde im Nachfolgend nur auf die Systemebene eingehen, also das „finance“ im Sinne des globalen Finanzsystems betrachten und nicht auf einzelne Mikropraktiken wie beispielsweise nachhaltige Finanz-Produkte, wie das Alternative Sparkonto von Etika und der BCEE, eingehen.
Es liegt nahe, nachhaltige Finanzen zuerst in Richtung Systemstabilität zu betrachten. Hier ist einiges geschehen, seit dem Konkurs der Investment-Bank Lehman Brothers vor 10 Jahren, was als maßgeblicher Teil der Ursache und Wirkung bei der Auslösung einer Vielzahl globaler und nationaler Krisen angesehen wird. Diese Krisen werden zusammen aufgrund ihrer Dimension als Weltwirtschaftskrise auch als „die große Krise“ bezeichnet. Im Anschluss, war man sich nicht nur auf G20-Ebene einig, dass deutliche Regulierungsbemühungen angestrengt werden müssen, um das weltweit verwobene und interdepente Finanzsystem, stabiler und widerstandsfähiger zu machen. Maßnahmen wie beispielsweise Bankenstresstests oder die Erhöhung von Eigenkapitalquoten und deren konkrete Ausgestaltung werde ich an dieser Stelle nicht ausführen und bewerten. Es soll der Hinweis auf eine Vielzahl an aktuellen Dokumentationen und Artikeln, sowie Einschätzungen auch renommiertester Ökonomen und Systemkennern genügen, die zum 10 jährigen Trauertag dieser letzten „großen Krise“, die Einschätzung teilen, das Gesamtsystem der Finanzwirtschaft sei nicht wesentlich stabiler geworden – sogar im Gegenteil sind die System-Risiken in bestimmten Bereichen enorm gestiegen. Neben der Stabilitäts-Perspektive, ist es essentiell zu fragen wie es um die Reproduktionsfähigkeit unseres Finanzsystems bestellt ist. Evolutionistisch, wäre es eigentlich nur logisch, dass aus Fehlern gelernt wird. Nur leider zeugt die Menschheitsgeschichte von einer großen Lernwiderwilligkeit, so auch nach der großen Krise. Das Finanzsystem hat sich in einem nachhaltigen Sinne nicht reproduziert, es wurde künstlich am Leben erhalten. Bedrohlich aber wahr: Unser globales Finanzsystem ist derzeit im klassischen Sinne nicht nachhaltig.
Wenn unser Finanzsystem jedoch nicht im klassischen Sinne nachhaltig ist, worüber wird dann im Rahmen von „sustainable finance“ gesprochen? International schleifen Zusammenschlüsse verschiedenster Finanzmarktakteure wie die PRI (Principles for Responsible Investments), UNEPFI (United Nations Environmental Programme – Finance Initative) oder die TCFD (Task Force on Climate-related Financial Disclosures) den Begriff, der aber weiterhin schwammig bleibt. Auf europäischer Ebene wird derzeit ein Aktionsplan für nachhaltige Finanzen verhandelt, welcher erste bindende Standards im Bereich setzen soll. Die EU-Kommission hat immerhin den Bedarf erkannt, dem „sustainable“ vor dem „finance“ nun mal ein Schild umzuhängen. Denn eines der größten Probleme für Investoren ist derzeit, dass es keine einheitlichen Standards oder Definitionen nachhaltiger Finanzen gibt. Eine EU-Direktive soll sich deshalb bald zum Ziel nehmen, zu bestimmen was in einem nachhaltigen Finanzprodukt (betrifft erstmals nur Unternehmensanleihen) enthalten sein soll. Ähnlich also der Taxonomie welche EU-weit zu BIO-Lebensmitteln besteht, wird eine solches Kennzeichnen von Finanzprodukten den Dschungel von sogenannten nachhaltigen Produkten lichten. Der Weizen ist hier unter der vielen Spreu nicht leicht zu finden, von den Standards der EU wird nicht zu viel (Konsequentes) zu erwarten sein. Es ist also davon auszugehen, dass dieser Standard deutlich unter dem liegen wird, was von der Zivilgesellschaft, oder „konsequent nachhaltigen“ Zertifizieren von Finanzprodukten wie „Nordic Swan“ oder „Financité“, gefordert wird. Wir wissen nun, wer wesentliche Akteure sind, die versuchen zu bestimmen, was nachhaltige Finanzen sind. Doch gibt es bisher keinen unter ihnen, weder in Politik noch in der Finanzbranche, der eine klare oder kohärente Definition von Finanz-Nachhaltigkeit vorgelegt hat.
Es ist mehr als fraglich ob wir international zu einem gemeinsamen Verständnis von nachhaltigen Finanzen gelangen werden, denn das scheint derzeit nur möglich wenn alle an einem Strang ziehen – keiner will jedoch seine noch nicht nachhaltige Finanzindustrie einschränken um in der Folge den Wettbewerb mit den anderen Finanzplätzen zu verlieren. Der Grund warum es beim kleinschrittigen Vortasten bleibt.
Zudem gibt es im Diskurs noch eine noch klare Fokussierung auf Klimarelevanz, Stichwort „Green Finance“. Politisch und ökonomisch dreht sich die Debatte um sustainable finance, verkürzt provokant ausgedrückt um: Wie bekommen wir mehr Windräder und weniger Kohlekraftwerke?
Es ist auch verständlich, dass der Diskurs derart verkürzt ist, denn wer über Nachhaltigkeit diskutiert, spricht eigentlich über Werte, Ethik und Moral. Was ist es wert, unseren Kindern intakt zu hinterlassen? Und vor allem wie sollen wir das erhalten, was es wert ist zu bewahren? Über diese Implikation der Nachhaltigkeit wird nicht, und wenn, dann nur implizit gesprochen.
Kommen wir nun zur Gerechtigkeit. Es ist einerseits erstaunlich, dass die Debatte um sustainable finance derart auf die Klimafrage reduziert ist, wo doch mittlerweile verstanden sein sollte, dass einseitige Problemlösungsansätze häufig neue Probleme bedeuten. Andererseits nachvollziehbar, denn irgendwo muss mit der Herkulesaufgabe „große Transformation“, nichts weniger als einem Weltrettungsversuch, begonnen werden. Doch ist es auch bedauerlich, dass die Diskurs-Akteure, insbesondere die politischen, es versäumen, die Debatte zu nutzen, um weiter zu denken und Größeres einzufordern.
Es gibt zwar bereits Finanzprodukte oder gar ganze Institutionen die sich an den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN für 2025 (SDGs) ausrichten, oder sogenannte ESG-Integration betreiben, also der Versuch, Environmental-Social-Governmental Perspektiven und Praxen in das eigene Produktportfolio und Geschäftsgebaren zu integrieren, doch das ist bisher Stückwerk und auf freiwilliger Basis (also zumeist nicht sehr konsequent). Nur für eine kleine Anzahl Unternehmen gelten noch sehr junge rechtlich bindende Vorschriften in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten (in allen Geschäftsaktivitäten) – Was die Initative „Devoir de Vigilance“ in Luxemburg zu ändern versucht.
Die finanzielle Nachhaltigkeit, wie sie derzeit diskutiert wird, bedeutet also vorerst nur: wir intensiveren unsere finanziellen Bemühungen, das Klima zu retten. Wenn sich die Finanzmarktakteure und vor allem die westlichen Gesellschaften diesem Vorhaben voll und ganz verschreiben, mit der Bereitschaft innovativer und langfristiger zu investieren, dann ist der benachteiligten Weltgemeinschaft auch in Punkto Gerechtigkeit gedient. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.
Wenn all die Initiativen, Plattformen, Debatten und bald auch Gesetze dafür sorgen mögen, dass vor allem mehr Geld in Klimaschutz, Abmilderung von Klimaerwärmung sowie die Entwicklung nachhaltiger(er!) Produkte fließt, so ist bei weitem nicht dafür Sorge getragen, dass die Finanzwelt auch gerechter wird. Hier sieht es eher so aus, als würde die globale Ordnung der Finanzsphäre, mit all ihren Abhängigkeiten zwischen Nord und Süd, Macht- und Informationsasymetrien, hegemonialer Ausnutzung geschichtlich entstandener Vorteile, die Geschichte der Kolonialisierung sowie des marktfundalistischen Imperialismus fortgeschrieben.
Würden wir sustainable finance kohärenter angehen, würden wir das Thema auch politisch und moralisch korrekter denken und diskutieren. Dann würden die Gläubigerländer des globalen Nordens nicht nur zukünftig Windenergienanlagen im globalen Süden finanzieren, sondern auch gleichzeitig, durch eine Governance auf Augenhöhe mit den Parnerländern, dafür sorgen, dass lokal Infrastruktur geschaffen wird und zwar nachhaltige. Steuern würden im Nehmerland und nicht auf der Insel Jersey landen, Bildung würde den Menschen helfen sich selbst zu organisieren und zu versorgen. Längerfristig könnten sich so heutige „Enwticklungsländer“ von den Geberländern emanzipieren, dafür müssten die Gläubigerländer aus ihren finanziellen Abhängigkeiten entlassen werden. So würde sustainable finance mehr als nur eine technisch geführte Debatte, die sich um die Etikettierung von Green Bonds dreht, es wäre eine konsistente Haltung, die sich wirklich um die Belange von Mensch und Natur kümmert, vielleicht sogar mit der Bereitschaft weniger, wenn auch nachhaltiger, zu verdienen. Noch ist dem nicht so. Trotzdem darf man hoffen, dass sich mit der vorhanden Dynamik dem Ziel der Einhaltung von „nur-2°-wärmer“, sich die Ungerechtigkeit zwischen globaler Kreditnehmer- und Kreditgeberschaft nicht noch mehr verschärft. Im besten Fall schafft es die Debatte und die Bewegung im Thema, natürlich nur von sukzessive nachfolgenden, flankierenden Anpassungen des wirtschaftspolitischen Rahmens, Investoren weg von der Maxime der kurzfristigen Profitsteigerung, hin zu langfristigen Investition zu bewegen. Wenn die Profiterzielung nicht mehr Selbstzweck ist und über alles, sogar Menschenrechten, gestellt wird, dann könnte das Projekt „großen Transformation“ gelingen. Denn die ist nur zu erreichen, wenn sie auch mehr Gerechtigkeit herstellt und zwar weltweit. Sonst bleibt es bei dem verzweifelten und unmöglichen Versuch, weniger entwickelter Nationen (oder sozialen Schichten) mit den zu-viel-Besitzenden gleichziehen zu wollen. Die Ressourcenkapazität dieses Planeten wird dafür nicht ausreichen. Der Kampf gegen den Klimawandel ist mit mehr Solarkollektoren allein nicht zu gewinnen, er braucht auch die Integration von benachteiligten Nationen auf Augenhöhe mit den wirtschaftlich starken Nationen und die Adaption eines genügsameren Lebensstils. Wenn mit sustainable finance eine Finanzwende kommt, müssen wir dafür Sorge tragen, dass sich diese nicht nur auf Energie- oder Ressourceneffizienz oder mehr grüne statt braune Energie beschränkt – Nein – sie muss auch Menschlichkeit im Sinne einer entwicklungspolitischen Haltung mitbringen. Etwas mehr Moral würde dem Finanzsektor schließlich gut stehen und ihn endlich wieder mehr in den Dienst der Menschen stellen.
Alexander Feldmann, Etika asbl