Wenn Land zur Anlage-Klasse wird: Die globale Jagd nach Land, Menschenrechtsverletzungen und die Rolle Luxemburgs

  1. Luxemburg und die globale Finanzwelt

Das große Ganze: Die Finanzwelt ist im Verhältnis zur Realwirtschaft gewaltig gewachsen. Noch 1980 waren die Realwirtschaft gemessen am globalen Bruttoinlandsprodukt und die weltweiten Finanzanlagen (Global Financial Assets) noch etwa gleich auf. Heute sind die weltweiten Finanzanlagen etwa 600 Prozent größer als die Realwirtschaft.[1] In diesem gewaltigen Finanzmarkt hat Luxemburg eine bedeutende, kaum zu überschätzende Rolle inne.

Dazu muss man die unterschiedlichen Aufgaben von Finanzplätzen verstehen. Es gibt jene, die besonders als Zwischenstation für Finanzflüsse genutzt werden („Conduits“, bspw. Großbritannien oder Singapur) und jene, in denen das Vermögen längerfristig gelagert wird („Sink OFCs“). Luxembourg wurde 2019 als weltweit größtes Sink OFC gelistet[2], mit geparktem Vermögen von über 5 Billionen US-Dollar. Dieses Geld sichert dem kleinen Land erheblichen Wohlstand.

  1. Nachhaltige Finanzen aus Luxemburg

Angesichts der wachsenden Kritik an der Finanzwelt im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 gerieten Finanzplätze wie die Schweiz und Luxemburg unter Druck. Regulierungen auf EU-Ebene standen an, auch wenn diese teilweise nur stark abgeschwächt verabschiedet wurden. In diesem Kontext hat Luxemburg große Anstrengungen unternommen, sich einen Namen als Vorreiter für nachhaltige Finanzanlagen („sustainable finance“) zu machen. Vielleicht auch nach dem Motto: Man muss etwas verändern, damit alles so bleibt, wie es ist.[3]

Damit das Versprechen der nachhaltigen Finanzen greift, sind zwei zentrale Narrative notwendig. Erstens, dass man die gewaltigen Finanzsummen relativ einfach mit spezifischen Vorgaben (Prinzipien, Zertifizierungen…) umlenken kann, damit sie Gutes bewirken. Und zweitens, dass man diese Gelder dringend benötigt, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Beide Narrative haben letztendlich mit den Sustainable Development Goals ihren Segen erhalten.[4] Mit etwas Abstand betrachtet ist es jedoch absurd: Die zu Beginn der internationalen Finanzkrise geschmähte Finanzindustrie wurde kurz danach als Heilsbringer regelrecht hofiert.

  1. Land wird zu einer Finanz-Anlage-Klasse

Die Finanzkrise war auch ein bedeutender Auslöser für eine neue, globale Welle von Landnahmen, die unter dem Begriff „Landgrabbing“ zusammengefasst werden können.[5] InvestorInnen suchten nach neuen und sichereren Anlagemöglichkeiten. Hochglanz Investment-Konferenzen zum Thema Land, wie die Reihe „Global Ag Investing“, schossen aus dem Boden und warben für Landinvestitionen. Auf Konferenzplakaten lagen auf den Äckern Dollar-Schein-Rollen anstatt Strohballen.[6]

In dem bezeichnend betitelten Bericht Around the World in Dollars and Cents des Immobiliendienstleisters Savills wird 2016 erstmals der globale Wert von Agrarland geschätzt. Savills sieht angesichts der Tatsache, dass der überwiegende Teil des Ackerlands (noch) nicht in den Händen von Finanzinvestoren ist, großes Wachstumspotenzial:

“This year we have included for the first time the value of agricultural land, at an estimated $26 trillion, of which about $7.8 trillion (around 30%) is corporately and institutionally invested. Most agricultural land is owned by noninvesting entities, operators and occupiers, especially in emerging economies where this is a sector with great potential for further growth and investment.”[7]

Auch produzierende Agrarfirmen steigen verstärkt in den spekulativen Landkauf ein. Ein Beispiel ist der brasilianische Soja-Gigant SLC Agricola. Dieser verdiente mit seiner neu gegründeten Tochterfirma LandCo und dem Kauf und Verkauf von Land ab 2016 mehr Geld als mit dem eigentlichen Kerngeschäft Soja.[8]

Etwa 15 Jahre nach der Finanzkrise schätzen Forschungseinrichtungen, dass seitdem etwa 200 Millionen Hektar Land – grob 800 mal die Fläche Luxemburgs oder deutlich mehr als die 157 Millionen Hektar Ackerland der Europäischen Union – aus vor allem staatlicher oder lokaler Kontrolle in die Hände nationaler und insbesondere internationaler Investoren transferiert wurden.[9]

  1. Menschenrechtsverletzungen und systemische menschenrechtliche Leerstellen

Über einzelne, konkrete Fälle von Finanzierungen kann ein Blick auf die Realität abseits von Hochglanzbroschüren und Zertifikatsstempeln geworfen werden. Dieser Blick weckt erhebliche Zweifel an den Versprechen und Informationen nachhaltiger Finanzierungen. Er zeigt vielmehr, dass Menschenrechte regelmäßig unter die Räder geraten. Da mannigfaltig über positiv-Beispiele berichtet wird, soll dieser Artikel explizit den Blick auf negative Wirkungen richten.

4.1. Der AATIF-Fonds und dessen Investition in Sambia

Der Africa Agriculture and Trade Investment Fund (AATIF), ein so genannter Entwicklungsfonds, aufgesetzt vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und verwaltet von der Deutschen Bank AG mit Sitz in Luxemburg. Mit etwa 200 Millionen US-Dollar Investmentvolumen ist der AATIF ein eher kleiner Fonds. Trotzdem wurden über Zinsen und Gebühren von 2012 bis 2023 etwa 70 Millionen US-Dollar an Rückflüssen nach Luxemburg generiert. Diese Gelder fehlen vor Ort, wo der Fonds laut Auftrag die wirtschaftliche Entwicklung zugunsten der Armen ankurbeln soll.

Seit 2011 hat der Fonds den Finanzinvestor Agrivision Africa (damals Chayton Africa) mit Sitz auf Mauritius finanziert. Damit sollte die Expansion der Tochterfirma Agrivision Zambia (damals Chobe Agrivision) in Sambia finanziert werden. Agrivision besitzt heute etwa 20.000 Hektar Land in Sambia und baut auf verschiedenen Farmen vor allem Soja, aber auch Weizen und Mais im industriellen Stil an. Bei mehreren der Agrivision-Farmen wurden Landkonflikte zwischen lokalen Gemeinden und der kommerziellen Farm dokumentiert. Die kleinbäuerliche Gemeinde Kasambabanyambi lebt am westlichen Rand der 12.000 Hektar großen Farm Somawhe im Distrikt Mpongwe. Ein Gemeindemitglied berichtete, dass er kurz vor der Übernahme durch Agrivision von seinem Land inklusive Haus und einer Maismühle, die weiter innerhalb der heutigen Farm lagen, gewaltsam vertrieben wurde. Weitere Gemeindemitglieder haben Ackerland verloren, welches näher als 100 Meter an eine die Farm durchquerende Straße lag. Offizielle Expansionspläne hätten die Vertreibung der gesamten Gemeinde bedeutet. Sie wurden jedoch nach Kritik von FIAN zurückgenommen.

Seit Mitte der 1980er Jahre lebt die Gemeinde Ngambwa auf einem kleinen Streifen entlang der Eisenbahntrasse zwischen weiteren Großfarmen von Agrivision. Die Gemeinde nutzte das Land unter anderem zum Anbau von Nahrungsmitteln, die für ihre Existenz lebensnotwendig sind. Agrivision beansprucht seit einigen Jahren den Siedlungsstreifen für sich. Im Juli 2016 berichteten die Gemeindemitglieder, dass ihnen seit einigen Monaten von Agrivision verboten wurde, das wenige Ackerland um ihre Häuser zu bewirtschaften. Agrivision bewirtschaftet nun das Land direkt neben den Häusern der Gemeinde. Eine Bewohnerin erklärt:

„Das Land wurde uns weggenommen. Nun ist es schwierig, an Essen zu kommen. Wir wollen den Boden bewirtschaften, damit unsere Kinder satt werden und nicht stehlen gehen. » (persönliches Interview, Juli 2016)

Ihnen wurde zusätzlich angedroht, dass Häuser zerstört würden und alle das Land verlassen müssten. Durch den Verlust des Ackerlandes wurde der Gemeinde eine wichtige Ernährungsquelle entnommen und damit ihr Recht auf Nahrung verletzt.

4.2 Der Mikrokredit-Fonds MEF: finanzielle Inklusion und Menschenrechtsverletzungen

Unter dem Schlagwort „finanzielle Inklusion“, welches fälschlicherweise menschenrechtliche Bezüge suggeriert, werden armen Menschen spezielle Finanzprodukte verkauft. Mikrokredite sind die bekannteste Form dieser Finanzprodukte.

Ein Beispiel der Finanzierung solcher „finanzieller Inklusion“ ist der Mikrofinanzfonds Microfinance Enhancement Facility (MEF). Er, wie auch die dazugehörige Investmentgesellschaft innpact ist in Luxemburg angesiedelt. Der MEF hat aktuell etwa eine halbe Milliarde US-Dollar in Mikrofinanzinstitute weltweit investiert und ist mit dem LuxFLAG Microfinance Label zertifiziert.

Kambodscha war 2017 beim MEF mit 72,6 Millionen US-Dollar auf Platz zwei der finanzierten Länder. Acht kambodschanische Mikrofinanzhändler wurden so finanziert. Neben dem MEF ist beispielsweise auch das in Luxemburg ansässige Mikrofinanz-Investmentunternehmen Advans S.A. Mehrheitsaktionär des kambodschanischen MFI Amret.

Recherchen der lokalen Menschenrechtsorganisation LIACDHO haben seit 2019 schwere Menschenrechtsverletzungen im Mikrofinanzsektor dokumentiert: Hunderttausende kambodschanische Familien befinden sich aufgrund von Mikrokrediten in Überschuldung. Um die Schulden zu tilgen, sind sie gezwungen, ihr Land zu verkaufen, weniger zu essen oder ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Laut einer vom deutschen Entwicklungsministerium in Auftrag gegebenen Studie haben etwa 167.000 KreditnehmerInnen in den letzten 5 Jahren aufgrund von Überschuldung ihr Land verloren. Ein Kleinbauer aus der Provinz Thong Khmum erklärt:

„Ich wäre sehr glücklich, wenn meine Botschaft nach Europa geschickt würde: Wenn die MFIs [Mikrofinanzinstitute] weiterhin diesen Druck auf Bauern wie mich ausüben, werden wir immer weiter unser Land verlieren.“ (LICADHO 2019:5)

Es gibt zudem Fälle, in denen die Schulden von Ziegelfabriken übernommen wurden und die Schuldner in Zwangsarbeit (Schuldknechtschaft) getrieben wurden.

Dem gegenüber steht der gewaltige Rückfluss an Zinsen und Gebühren an den MEF. In den letzten 12 Jahren sind über 500 Millionen US-Dollar nach Luxemburg in den Fonds geflossen – wohlgemerkt bezahlt von armen Menschen.[10]

4.3 Der Agrarinvestor PAYCO und Landrechte indigener Gemeinschaften

Paraguay Agricultural Corporation (PAYCO) ist ein Agrarinvestor mit Sitz in Luxemburg.[11] Auch dessen Hauptanteilseigner EuroAmerican Finance S.A. hat seinen Sitz in Luxemburg.[12] PAYCO betreibt über seine Tochtergesellschaft PAYCO Paraguay industrielle Landwirtschaft in Paraguay. Seit 2013 hat sich deren Anbaufläche von 135.000 auf 146.000 Hektar vergrößert. Dies entspricht knapp 60 Prozent der Landesfläche Luxemburgs. Die Ländereien sind überwiegend im Besitz des Investors (130.000 ha), zum Teil auch gepachtet (16.000 ha). PAYCO ist damit der zweitgrößte Landbesitzer Paraguays und auch einer der größten Produzenten von gentechnisch verändertem Saatgut im Land.

Eine 2023 durchgeführte Recherche zu PAYCO bestätigt zusammenfassend, dass „…Menschenrechte und Umweltschutzstandards missachtet werden/wurden“.[13] Beispielsweise beansprucht PAYCO 2.015 Hektar Land, welches anerkanntes traditionelles Land der indigenen Gemeinden Ka’atymi und Tukuarusu ist. Die Gemeinden klagen seit 2013 die Rückgabe des Landes ein. Die Investigativ-Plattform correctiv deckte 2023 auf, dass PAYCO zwischen 2013 und 2020 für die Rodung von mehreren Tausend Hektar Wald im Chaco verantwortlich ist.[14] Auf viele dieser Flächen haben indigene Gemeinschaften nach nationalem Recht Nutzungsansprüche. Daneben ist trotz Zertifizierung die Anwendung von in Europa verbotenen Pestiziden dokumentiert.

Grundsätzlich ist die hohe Landkonzentration in Paraguay ein zentraler Grund für die Verletzung der Menschenrechte der ländlichen Bevölkerung. Der UN-Ausschuss für Menschenrechte hat diesen Zusammenhang zwischen Menschenrechtsverletzungen und Landkonzentration schon 2007 klar identifiziert und kommuniziert.

  1. Handlungsbedarf

Die beschriebenen Investitionen aus Luxemburg mit Bezug zu Land und Landkonflikten könnten durch eine lange Liste weiterer hier ansässiger Akteure erweitert werden. Zu nennen wären beispielsweise der russische Agrarinvestor Sodrugestvo, der Palmölinvestor Socfin oder Agribusiness Capital Fund. Luxemburg ist damit sicherlich ein relevanter Finanzplatz auch für die globale Jagd nach Land.

Auf der anderen Seite hat Luxemburg 1983 den UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert. Wie in den maßgeblichen Rechtsauslegungen der Vereinten Nationen (sogenannte „General Comments“) ausgeführt, haben Heimatstaaten solcher Investoren und Firmen konkrete Menschenrechtspflichten, um Verstöße gegen Menschenrechte – wie beispielsweise das Recht auf Nahrung – zu verhindern. Die Beispiele zeigen jedoch, dass aktuell keine angemessenen Mechanismen vorhanden sind, die solche Verstöße effektiv verhindern. Eine 2019 von der Luxemburger Regierung durchgeführte Baseline Studie zu Menschenrechten und Luxemburger Unternehmen[15] war ein guter, aber nur erster Schritt, die menschenrechtliche Verantwortung des Staates zu präzisieren. Konkrete Mechanismen müssen dem jedoch folgen.

Letztlich erschwert aber auch die dynamische und kaskadenförmige Finanzierung über verschiedenste Finanzoasen – im Fall vom AATIF von Deutschland über Luxemburg und Mauritius nach Sambia[16] – immer mehr die Möglichkeiten, menschenrechtliche Rechenschaft von den Beteiligten, insbesondere den Staaten als Trägern der Menschenrechtspflichten, einzufordern.

 


Anmerkungen:

[1] TNI, McKiney, Weltbank

[2] https://longreads.tni.org/stateofpower/geography-of-financial-power

[3] Frei nach Giuseppe Tomasi di Lampedusa

[4] Herre, R., „Keine Hilfe ohne Rendite? Einblicke in die zunehmende Finanzialisierung der Entwicklungszusammenarbeit“, Weltwirtschaft und Internationale Zusammenarbeit, Sangmeister [Hrsg.], Band 23, 2020.

[5] Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig, dass das Zusammentreffen verschiedener Krisen, der Klima-, Finanz-, Nahrungsmittel- und Energiekrise der Auslöser dieser neuen Jagd nach Land war. Siehe auch: Borras, M. S. et al.,„Land Grabbing in Latin America and the Caribbean”, Journal of Peasant Studies, 28. Mai 2012, S.845 ff.

[6] Flyer der „Global AgInvesting Konferenz 2010“ in Genf

[7] Siehe https://pdf.euro.savills.co.uk/global-research/around-the-world-in-dollars-and-cents-2016.pdf

[8] Rede Social de Justiça e Direitos Humanos (2018) Imobiliárias agrícolas transnacionais

e a especulação com terras na região do MATOPIBA, S.38

[9] Siehe landmatrix.org

[10] Ein nicht bekanntes, aber geschätzt ähnlich großes Volumen bleibt bei den MFIs vor Ort hängen.

[11] Die folgenden Daten beruhen auf Recherchen zwischen 2019 und 2022. Beteiligungen und Flächenangaben unterliegen typischerweise einer hohen Dynamik. Diese können sich daher zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels unterscheiden.

[12] https://offshoreleaks.icij.org/nodes/12104289

[13] FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk (FIAN), Die Entwicklungsbank DEG als Großgrundbesitzer: Der Fall PAYCO (Paraguay), 2023, https://www.fian.de/wp-content/uploads/2023/09/Bericht-PAYCO_2.pdf (abgerufen am 11. September 2024).

[14] Steeger, G., Manzoni, M., „Abholzung: Deutsche Entwicklungsbank finanziert Umweltzerstörung“, correctiv, 26. September 2023, https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2023/09/26/abholzung-deutsche-entwicklungsbank-finanziert-umweltzerstoerung/ (abgerufen am 11. September 2024).

[15] Ministère des Affaires étrangères et européennes, Mapping the Business and human rights landscape in Luxembourg, Oktober 2019, https://mae.gouvernement.lu/dam-assets/directions/d1/pan-entreprises-et-droits-de-l-homme/Mapping-the-Business-and-Human-Rights-Landscape-in-Luxembourg.pdf (abgerufen am 11. September 2024).

[16] Bis zu den Recherchen von FIAN wusste vor Ort in Sambia niemand, nicht einmal die deutsche Botschaft oder die sambischen Behörden, dass Deutschland den Agrarinvestor finanziert.

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