Jean Feyder – Am 28. Juni hat die Europäische Union (EU) ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abgeschlossen. Ein » historisches Abkommen «, so Cecilia Malström, die zuständige Handelskommissarin der EU, für Jean-Claude Juncker war es ein » historischer Moment «. Unser Wirtschaftswachstum wird gefördert und neue Arbeitsplätze werden geschaffen, heißt es bei der Begründung auch dieses Abkommens. Zugleich wollte die EU-Kommission, kurz vor dem G-20 Gipfel in Osaka, weltweit ihre Freihandelsgesinnung unterstreichen und ihr Eintreten für den Multilateralismus gegenüber dem Protektionismus von Donald Trump.
Einmal endgültig ausgearbeitet und vor seinem Inkrafttreten, muss dieses Abkommen zuerst vom EU-Ministerrat gebilligt werden bevor es dann durch das Europa-Parlament und die nationalen Parlamente aller Mitgliedsstaaten zu ratifizieren ist.
Über dieses Abkommen entsteht ein integrierter Markt von 780 Millionen südamerikanischen und europäischen Konsum-Bürgern. Es sieht eine Zollsenkung von fast 90 Prozent zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken vor. Mercosur wird seine Zölle über mehrere Jahre für die chemische oder pharmazeutische Industrie, Textilien, und eine gewisse Zahl von Nahrungsmitteln wie Alkohol, Süßwaren oder Fischereiprodukte abschaffen. So fallen die für Kraftwagen über 15 Jahre von 35 auf 0 Prozent.
Die Europäische Union ist bereit, 99 000 Tonnen Rindfleisch, 180 000 Tonnen Zucker, 100 000 Tonnen Geflügelfleisch, 600 000 Tonnen Ethanol, 60 000 Tonnen Reis und 45 000 Tonnen Honig zu geringeren Zöllen einzuführen. Und wird zollfrei 30 000 Tonnen Käse, 10 000 Tonnen Milchpulver und 5000 Tonnen Säuglingsmilch in die Mercosur-Länder exportieren können.
Das Abkommen sieht auch die Anerkennung durch die Mercosur-Staaten von geschützten geographischen Angaben für 375 Produkte vor.
Starke Opposition
Eine solche Opposition wurde lautstark von europäischen, französischen und deutschen landwirtschaftlichen Verbänden geäußert, die eine Überflutung der EU-Märkte durch Lebensmittelprodukte aus den Mercosur-Staten befürchten. Auch die Zivilgesellschaft nahm klar Stellung gegen dieses Abkommen. Mitte Juni hatten bereits 340 NGOs einen Brief an den Präsidenten der EU-Kommission gerichtet mit der Bitte, die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen einzustellen.
Ein Hauptkritikpunkt: Im Abkommen ist kaum etwas über die Einhaltung der Menschenrechte enthalten. Die NGOs haben darauf verwiesen, dass die Achtung dieser Rechte in den EU-Verträgen als eines der Hauptziele vorgesehen ist. Sie machen darauf aufmerksam, dass sie seit der Einführung des neuen Präsidenten in Brasilien im letzten Januar mehr Verletzungen der Menschenrechte, mehr Angriffe auf Minoritäten, einheimische Völker, LGBT Gruppen und andere traditionelle Gemeinschaften festgestellt haben.
Auch wenn das Abkommen ein Kapitel über Umwelt, nachhaltige Entwicklung, Forstverwaltung und Arbeitsrechte einschließt, so ist hierzu keine genaue und prüfbare Verpflichtung vorgesehen. Dies gilt vor allem für das Pariser-Abkommen zum Klimawandel, zudem die NGOs konkrete Verpflichtungen eingefordert hatten. Bolsonaro konnte in Osaka ein Versprechen abgeben, dieses Abkommen zu achten. Doch wer wird ihm glauben, wenn zu gleicher Zeit in Brasilien im Bereich Umwelt sowohl die Institutionen und die Gesetzgebung entweder abgeschafft oder doch auf » dramatische Art und Weise « geschwächt wurden? Wenige Tage später sprach Bolsonaro eine klare Sprache als er vor der Auslandspresse, an europäische Journalisten gewandt, erklärte: » Der Amazonas gehört Brasilien, nicht ihnen[1] «. In Brasilien wurden in sechs Monaten 239 Pestizide homologiert davon ist ein bedeutender Anteil als toxisch oder höchst toxisch für Gesundheit und Umwelt eingestuft. Ein Drittel dieser Pestizide sind in der EU verboten.
Diese Vorbehalte und Befürchtungen wurden in einem Gespräch, das Nicolas Hulot, ehemaliger französischer Umweltminister, der Zeitung Le Monde am 2. Juli gewährte. » Ich verstehe nicht, wie man dieses Abkommen in diesem Zustand unterzeichnen kann. Diese Art von politischer Entscheidung zeigt, dass man über keinen systemischen, globalen Ansatz gegen den Klimawandel verfügt. Es fehlt völlig an Kohärenz… man lässt einen Präsidenten, Jair Bolsonaro, den Amazonaswald verwüsten, ohne den man keine Möglichkeit hat, den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen. Es geht hier allein weltweit um zehn Jahre Treibhausgasemissionen. Darüber hinaus zeigt man sich gleichgültig gegenüber den zahlreichen und wiederholten Vergehen an den Amazonas-Indianern, da man gedungenen Handlangern in Forstwirtschaft, Bergbau und Ölwirtschaft freien Lauf lässt, ohne sich um diese Bevölkerungen und ihre Rechte zu kümmern. Somit wird eine Art Genozid im Laufe der Geschichte dieser Indianer vollbracht «.
Ein Beitrag zur Klimakrise
Der Abschluss des Handelsabkommens der EU mit den Mercosur-Staaten folgt nur knappe Zeit dem mit Kanada, Singapur, Japan und Mexico. Weder die Kommission von Jean-Claude Juncker, noch die Mitgliedstaaten sind sich der Auswirkungen dieser Abkommen auf den Klimawandel bewusst. »Der Freihandel steht am Ursprung aller ökologischer Probleme «, behauptet Nicolas Hulot. » Man kann niemand mehr Glauben schenken: man sagt etwas und im Gefolge (…) unterschreibt man Verträge, die uns in die entgegengesetzte Richtung führen «.
Die steigende Zahl der Handelsabkommen wird in erster Linie zu einer Erhöhung der Produktion, des Handels und des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen führen, und das in einem Moment, wo es einen weltweiten Konsensus gibt über die Notwendigkeit, diese zu reduzieren.
Darüber hinaus hat die Organisation Grain klargestellt, wie der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und mit Nahrungsmitteln die Klimakrise verschlimmert, aus mehreren Gründen[2] :
- Die Erhöhung der Produktion, des Handels und des Konsums von Lebensmitteln, die große Treibhausgasemittenten sind.
- Die Lebensmittel, die am meisten zum Klimawandel beitragen sind rotes Fleisch, – Rind-, Schafs- und Schweinefleisch – Milchprodukte, Fischprodukte, Geflügel, Palmöl und hochverarbeitete Lebensmittel.
- Die Entwicklung der auf den Export ausgerichteten industriellen Landwirtschaft zum Nachteil der Bauernhöfe und der lokalen Lebensmittelsysteme.
- Sie hat als Folge die Förderung der Rind- Schweine- und Geflügelfleischproduktion. Auf der Basis von Sojaernährung hat diese Tierzucht einen desaströse Auswirkung auf die Umwelt, angesichts der massiven Waldrodung und dem Anbau von Monokulturen mit GVO-Saatgut und Pestiziden zu denen sie in Lateinamerika führt. Ähnlich verläuft die Produktion von Mais, Zucker und Palmöl.
- Der Ausbau von internationalen Supermärkten und hochverarbeiteten Lebensmitteln.
- Diese Supermärkte nutzen die Handelsabkommen, um neue Märkte in Asien, Lateinamerika und Afrika zu erobern. Diese Entwicklung wird begleitet von Produktion, Handel und Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln. Diese sind bedeutende Emittenten von Treibhausgasen nicht nur wegen der gebrauchten Energie, die für Verpackung, Verarbeitung und Transport der Lebensmittel gebraucht wird, sondern auch wegen der Emissionen, die durch die Bewirtschaftung produziert werden. Zusätzlich zeichnen sie sich allgemein durch einen großen Zucker- oder Fettgehalt aus. Die Verbreitung dieser Produkte hat über das NAFTA-Abkommen, das 1994 zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexico in Kraft getreten ist, in Mexico einen schnellen Anstieg erfahren und zu schweren öffentlichen Gesundheitsproblemen und zu einer beunruhigenden Ausbreitung der Obesität geführt.
- Die Förderung einer lokalen Lebensmittelwirtschaft wird beeinträchtigt. Programme, die dazu auffordern, » national einkaufen « oder » lokal einkaufen « und die Reglementierung über die Landursprungsetikettierung werden allgemein als diskriminierend und handelsverzerrend angesehen, gemäß der Freihandelsdoktrin.
Schlussfolgerung: Die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen wäre gut beraten, eine Reform der europäischen Handelspolitik vorzunehmen. Diese müsste sich durch eine größere Transparenz auszeichnen, die Konsultierung der Parlamente und der Zivilgesellschaft vorsehen, genaue Verpflichtungen gegenüber den wichtigsten Verträgen im Bereich Menschenrechte und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beinhalten. Die Achtung des Pariser-Abkommens zum Klimawandel wäre zu fordern, begleitet von prüfbaren Zielen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen und des Schutzes der Artenvielfalt. Für die Konzerne wären, gemäß den Empfehlungen des BEPS-Projektes (Aushöhlung der Steuerbasis und Gewinnverlagerung), Minimalsteuersätze für Unternehmensgewinne vorzusehen.
[1] Le Monde, 21/22. Juli 2019
[2] Grain, Hold-up sur le climat – Comment le système alimentaire est responsable du changement climatique et ce que nous pouvons faire, Cetim/Grain, 2016, S. 59-73