Marc Keup –

Der Soziologe und Wirtschaftspublizist Rainer Falk, der seit 1999 in Luxemburg lebte, ist kürzlich im Alter von 70 Jahren gestorben. Hier im Land wurde der Analyst vor allem durch eine kritische Studie zum Finanzplatz Luxemburg bekannt, die er 2009 im Auftrag des Cercle de Coopération veröffentlichte. Die scharfe und aus heutiger Sicht völlig ungerechtfertigte Kritik von Seiten der Regierungsparteien an der Studie überraschte die NGOs damals und zeigte schlussendlich Wirkung.

Im Sommer 2009 kämpfte die luxemburgische Regierung immer noch mit den Auswirkungen der globalen Finanzkrise. Der für die Größe des Landes völlig überdimensionierte Finanzsektor strauchelte und hätte unter Umständen das Land mit sich in den Abgrund reißen können. Zusätzlich sahen sich die Politiker der Mehrheitsparteien gerade zu jener Zeit einem immer stärker werdenden Druck aus dem Ausland gegenüber. Die damalige Strategie, eine Aufweichung des Bankgeheimnisses mit allen Mitteln zu verhindern, stieß an ihre Grenzen und brachte das Land international immer mehr ins Abseits.

Die Nervosität in den Reihen der verantwortlichen Politiker war also erheblich als die Plattform der entwicklungspolitischen NGOs plötzlich mit einer kritischen Studie zum Finanzplatz an die Öffentlichkeit ging. Nicht wie gewohnt von ausländischen Regierungen oder Journalisten ging dieses Mal die Kritik aus, sondern von den einheimischen Entwicklungsorganisationen. Dem damaligen Regierungschef Jean-Claude Juncker gingen daraufhin die Pferde durch. Am Rednerpult des Parlaments rügte er die NGOs und brandmarkte die Falk-Studie als « primitive und primäre Etüde ».

Jean-Claude Juncker wusste es besser. Als damaliger Finanzminister kannte er besser als die meisten Anwesenden im Parlament die inneren Abläufe der Finanzbranche. Beispielsweise die Steuervermeidungsstrategien der multinationalen Konzerne. Rainer Falk skizzierte in seiner Studie die zahlreichen Instrumente, die den Konzernen in Luxemburg zur Verfügung standen, um ihre Steuerlast zu drücken. Die Realität war noch skandalöser als Falk es sich vorstellen konnte. Wie die Welt im Herbst 2014 durch LuxLeaks erfahren sollte, unterschrieb in jenen Jahren ein hoher Beamter der Steuerverwaltung wie am Fließband unlautere Steuerdeals mit multinationalen Firmen. Juncker muss als Finanzminister davon gewusst haben.

Auch der zweite zentrale Kritikpunkt der Falk-Studie war keineswegs abwegig. Luxemburg machte damals von einer Ausnahmeregelung bei der EU-Zinsdirektive gebrauch, um sich dem automatischen Informationsaustausch zu entziehen. Falk erklärte, dass gerade diese Weigerung die Steuerflucht reicher Individuen begünstige und dass daraus auch für Entwicklungsländer ein potentiell großer Schaden entsteht. Luxemburg solle seine Blockadehaltung aufgeben, denn, so Falk, « es fragt sich […], ob mit einer stärker pro-aktiv ausgerichteten internationalen Finanzpolitik den langfristigen Interessen des Landes nicht besser gedient wäre ». Später ging dann die Blau-Rot-Grüne Regierung mit Erfolg genau diesen Weg, während gleichzeitig Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident eine Intensivierung des Informationsaustausches und eine Verhärtung der Anti-Weißwäsche-Richtlinien auf den Weg brachte. Genauso, wie es Rainer Falk Jahre vorher bereits gefordert hatte.

Etliche Elemente, die damals in der Falk-Studie erwähnt wurden, sind heute umgesetzt worden, beispielsweise auch das sogenannte « country-by-country reporting ». Die grundsätzlichen Probleme sind trotzdem nicht verschwunden. Immer noch gehen den Entwicklungsländern hunderte Milliarden jährlich wegen Steuerflucht und Steuerbetrug verloren und Luxemburg, als bedeutendes Glied im internationalen Finanzsystem, ist selbstverständlich Teil des Problems. Auch wenn die jetzige Regierung das Bild eines Finanzplatzes zeichnet, der sich an alle internationalen Standards hält und darüber hinaus mit Mikrofinanz und Green Financing positive Akzente setzt.

Denn, so schrieb Rainer Falk in 2009 in seiner Studie : « Freilich darf sich eine pro-aktive Politik in der Förderung cleverer Produktinnovationen (selbst wenn diese künftig verstärkt „ethisches Investment“ oder die Förderung von Mikrokrediten vorsehen) ebenso wenig erschöpfen, wie in dem verbalen Bekenntnis, im internationalen Kontext an der Stopfung von Steuerschlupflöchern mitzuwirken. Entscheidend wäre die ernsthafte Bereitschaft, auch kritische Fragen zur globalen Entwicklungsverträglichkeit bestimmter Funktionen des eigenen Finanzplatzes zuzulassen ». Diese Bereitschaft ist heute ebenso wenig vorhanden wie damals.

Kritische Fragen nur noch spärlich zu hören

Für Rainer Falk war damals die heftige Kritik der Regierungsverantwortlichen und der Finanzakteure keineswegs eine Überraschung. Bereitwillig ging er auf die verschiedenen Kritikpunkte an seiner Studie ein und verteidigte seine Vorgehensweise. Überraschend war für den Autor jedoch die Reaktion der NGOs. Kurz nach der Parlamentsrede von Jean-Claude Juncker wurden einige Verwaltungsräte des Cercle de Coopération ins Kooperationsministerium zitiert. Dort wurden sie freundlich aber bestimmt dazu eingeladen, von der Studie Abstand zu nehmen. Anstatt auf ihre Unabhängigkeit zu pochen, sich hinter den Autor zu stellen und etwaige technische Mängel in der Analyse beheben zu lassen, gaben sie umgehend Anweisung, die gesamte Studie von der Internetseite des Cercle zu entfernen. Und distanzierten sich damit vom Autor und seiner Studie.

Dies war umso enttäuschender für Rainer Falk, weil er seine Studie keineswegs an die Regierung gerichtet hatte. Sein Zielpublikum waren die NGOs und das entwicklungspolitisch interessierte Publikum in Luxemburg. Die Studie war als einführende Analyse konzipiert, die den luxemburgischen Entwicklungsorganisationen dabei helfen sollte, sich dem Thema anzunehmen und sich verstärkt mit der Problematik zu beschäftigen. Doch das Gegenteil geschah. Sei es wegen der damaligen Kontroverse oder aus einem Mangel an Fachwissen:   der Cercle und der Großteil der Entwicklungs-NGOs meiden dieses Thema bis heute oder sprechen es meist nur sehr oberflächlich an. Kritische Fragen zur globalen Entwicklungsverträglichkeit bestimmter Funktionen des eigenen Finanzplatzes, wie Falk es ausdrückte, sind seither nur spärlich zu hören. Dabei wäre genau das nötig, denn die oben erwähnten Fortschritte bei der Bekämpfung der Steuerflucht und der Geldwäsche greifen fast ausschließlich gegenüber anderen OECD-Ländern, nicht aber gegenüber den Entwicklungsländern.

In den Monaten vor seinem Ableben sprach Rainer Falk oft davon, seine Studie neu aufzulegen und er sammelte auch bereits entsprechende Informationen dazu. Dabei war es keineswegs seine Absicht, sich im Nachhinein selber Recht zu geben. Er hätte dieser Analyse wohl die gleiche konstruktive Stoßrichtung gegeben, wie jener von 2009: Was können wir tun, damit die Entwicklungsländer bessere Chancen haben? Leider wird es dazu nicht mehr kommen, aber vielleicht wird man in der luxemburgischen Zivilgesellschaft dennoch den Faden wieder aufgreifen, den er einst ausgerollt hatte.