Marcel Oberweis – Nach dem Ende der die Welt seit Wochen in Atem haltenden Corona-Pandemie werden wir radikal umdenken und uns verstärkt den längerfristigen und weitaus gefährlicheren Gefahren des Klimawandels wieder zuwenden müssen. Wissend, dass Krisen immer eine Zäsur darstellen, werden wir die Weichen bewusst in Richtung mehr Nachhaltigkeit stellen. Die erhöhte Beachtung der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist einer der wichtigsten Aspekte der Corona-Pandemie – es verbleibt jedoch die Frage, wieso dies nicht hinsichtlich des Klimawandels der Fall ist.

Die aktuelle Krise hat uns vor Augen geführt, dass die Wirtschaft global sehr verflochten ist und die Zeit drängt, dass sich die Europäische Union weniger abhängig von den „global players“ u.a. China macht. Die Beschriftung in chinesischer Schrift der ausgelieferten Schutzmasken lässt doch sehr tief blicken.

Als Lichtblick im „Dossier Klimawandel“ gelten die von der Europäischen Kommission im Januar 2020 vorgelegten Pläne zum Klimaschutz. 1000 Milliarden Euro sollen in den Umbau der Wirtschaft und der Energieversorgung bis zum Jahr 2030 investiert werden. Die Kommission redet vom „Green Deal“ und hat sich das forsche Ziel gesetzt, der erste klimaneutrale Kontinent der Welt bis zum Jahr 2050 zu werden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn sich die Energieversorgung von den fossilen Energieträgern abwendet, die Energieintensität stark erhöht und die erneuerbaren Energien verstärkt genutzt werden.

„Natürlich müssen wir uns jetzt um die Corona-Krise kümmern“, so Frans Timmermans. Vizepräsident der EU-Kommission, aber er warnt weiter: „Es ist eine Illusion, zu glauben, dass die Klimakrise oder auch die Krise der Artenvielfalt verschwunden seien. Sie sind immer noch da!” In der Tat werden die Maßnahmen gegen die Auswirkungen der Corona-Pandemie Billionen Euro kosten und es ist nur logisch, dass die Industrie- und alle anderen Wirtschaftsunternehmen dringend Unterstützung erhalten, damit die Arbeitsplätze gesichert bleiben und der Aufschwung der Wirtschaft gelingen kann.

Viele Klimawissenschaftler und Umweltschützer stellen sich jedoch die bange Frage ist, was dann noch für die weitaus wichtigere Herausforderung – der Kampf gegen den Klimawandel übrig bleibt. Es leuchtet ein, das in Auftrag gegebene europäische Wiederaufbauprogramm muss an eindeutige nachhaltige Vorgaben geknüpft werden. Die eingesetzten Milliarden Euro werden den Weg hin zur umweltfreundlichen Modernisierung der Produktion, hin zu intelligenten grünen Städten, hin zur sanften Mobilität und hin zu ambitiösem energiesparenden Wohnen einleiten.

Dass dem Klimawandel eine erhöhte Bedeutung beigemessen werden muss, lässt sich aus den Abschmelzprozessen der Gletscher und der Erhöhung des Meeresspiegels ableiten. Dieser wird unweigerlich Hunderte Millionen Menschen zur Migration zwingen. Die Wissenschaftler werden auch nicht müde auf den Biodiversitätsverlust – fast eine Million Tier- und Pflanzenarten sind bereits ausgerottet oder sind davon bedroht – hinzuweisen. Sie weisen eindringlich darauf hin, dass die Menschen für das 6. Massenaussterben in der Geschichte des Lebens auf der Erde verantwortlich sind. Der Verlust der biologischen Vielfalt stellt die existenzielle Bedrohung für die Menschheit dar, denn die Vielfalt ist für das menschliche Leben unverzichtbar.

Man kann es nicht abstreiten, die Corona-Krise steht momentan im Mittelpunkt unserer Sorgen, aber die Pharmaforschung wird innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne einen wirksamen Impfstoff bereitstellen. Dann werden die Menschen langsam aber sicher zum „business as usual“ übergehen.

Die Klimakrise wird jedoch nicht verschwinden, denn sie hängt direkt mit den wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen ab. Muss daran erinnert werden, dass sich laut dem Pariser Umweltgipfel die Erde nicht über 2 Grad C erwärmen darf. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, müssen sich die weltweiten Treibhausgasemissionen jährlich um 2,7 Prozent in der kommenden Dekade verringern. Wenn die Erwärmung jedoch auf 1,5 Grad beschränkt werden soll, dann müssen sich die Emissionen jährlich um 7,6 Prozent verringern.

Leider erleben wir derzeit ein wachsendes Desinteresse für die Belange des Planeten. Die Menschen in den Entwicklungsländern, die für den Klimawandel nur zu einem sehr geringen Anteil verantwortlich sind, erkennen, dass die „Leader“ von einigen wichtigen Industrie- und Schwellenländern das Problem als „peanuts“ abtun. Die Erderwärmung wird nicht als eine latente Gefahr wahrgenommen.

Warnruf

Kann im Kampf gegen die Corona-Pandemie jedes Land unter Umständen seine Kampf allein durchführen, ist dies beim Kampf gegen den Klimawandel nicht möglich: Hier sitzen alle in einem Boot – entweder die Menschen überleben gemeinsam oder sie kentern gemeinsam.

Der renommierte Klimaforscher Prof. Hans Joachim Schellnhuber sieht in der aktuellen Pandemie einen möglichen Kipppunkt im Umgang mit der Erderwärmung. Für ihn sind die Parallelen zwischen der Corona-Krise und der Klimakrise frappierend. „Die Corona-Krise zeige, dass wie beim menschengemachten Klimawandel, ein Verlauf drohe, der sich mit den Standardpraktiken des politischen Geschäfts nicht mehr beherrschen lässt.

Deshalb ist es wichtig, den Rat der Wissenschaft ernst zu nehmen, bevor die Krise eskaliert.  So wie der Corona-Virus nicht vor den Grenzen einen Halt einlegt, so kennen auch die Treibhausgase keine Grenzen. Prof. Hans Joachim Schellnhuber wirbt deshalb für einen „Klima-Corona-Vertrag“ zwischen den Generationen. „Die Solidarität muss also wechselseitig sein. Man könnte es plakativ so ausdrücken: Wer achtlos das Virus weitergibt, gefährdet das Leben seiner Großeltern. Wer achtlos CO2 freisetzt, gefährdet das Leben seiner Enkel.“

Schlussfolgerung

Wenn wir – die Corona-Pandemie einmal überwunden – den blauen Planeten in einem guten Zustand an unsere Kinder und Enkelkinder vererben möchten, dann müssen nunmehr die mutigen Schritte in Richtung „Mehr Schutz für die Umwelt und das Klima“ eingeleitet werden, ansonsten waren die gewaltigen aufgebrachten Finanzmittel im Kampf gegen das Corona-Virus und die Erholung der Wirtschaft schlecht investiert. Dann wird eine Welle der besonderen Art die Menschheit überrollen mit ungeahntem Ausgang.