Am 8.10.2018 präsentierte der Weltklimarat (im Englischen “International Panel on Climate Change”, kurz IPCC) in Korea seinen Sonderbericht zur globalen Erwärmung. Er ist die wichtigste gegenwärtige wissenschaftliche Bewertung des Klimawandels; er ist eine Grundlage für die UN-Klimaverhandlungen im Dezember im polnischen Katowice und die klimapolitischen Entscheidungen in den kommenden Jahren. Im Abkommen auf dem Klimagipfel von Paris hatten die Staaten der Welt mit einer Zieldefinition von “deutlich unter 2°C oder 1,5° C” einen typischen diplomatischen Kompromiss zu Papier gebracht und dann den Weltklimarat beauftragt, herauszufinden, was denn der Unterschied zwischen einem Temperaturanstieg von +1,5° und +2° C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit sei. Der Sonderbericht des IPCC legt nun mit einer Fülle von Fakten den Schluss nahe: Wir müssen den Anstieg unter 1,5° C halten! Diese Begrenzung ist möglich, notwendig und dringend!

Der eigentliche Bericht umfasst über 1100 Seiten und wird von einem 34seitigen „Summary for Policy Makers“, also einem “Resumé für politische Entscheider“ begleitet, das ein wenig zurückhaltender formuliert ist. Hier seien nun die wesentlichen Aussagen des Reports und des Résumés zusammengefasst:

Die globale Erwärmung auf +1,5° C verstehen

Seit der industriellen Revolution (Durchschnitt der Jahre 1850-1900) ist die Temperatur bis heute im globalen Schnitt um ±1° C gestiegen. Was dies bedeutet, haben wir im vorigen und diesen Jahr überall auf der Welt durch die vermehrten und intensiveren Wirbelstürme, Hitzewellen, Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen erlebt. Wenn die Treibhausgasemissionen weiter so ansteigen (und sie tun es derzeit), steigen die Temperaturen weiter um ± 0,2°C pro Jahrzehnt an, so dass sie um 2040 bei +1,5° C liegen werden. Diese Erwärmung verteilt sich ungleich über den Globus: Bereits jetzt (Durchschnitt 2006 – 2015) erwärmt sich die Nordpolarregion um über 1,5° C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit (Durchschnitt 1850 – 1900). Dazu kommt, dass die derzeit von den Staaten geplanten Reduzierungen der Treibhausgase zu einer Überhitzung von rund 3° C führen werden.

Die möglichen Auswirkungen und Risiken bei +1,5°C und bei +2°C

Der Weltklimarat listet anhand vieler Beispiele auf, was +2°C im Vergleich zu +1,5°C bedeutet:

Polareis und Permafrostböden schmelzen

Bereits jetzt führt die Erwärmung der Nordpolargebiete auf +1,5° C dazu, dass das Nordpolarmeer einmal pro Jahrhundert im Sommer eisfrei wird und in weiten Regionen Sibiriens, Nordkanadas und Alaskas die Permafrostböden auftauen. Dadurch entstehen Kettenreaktionen, die sich selbst verstärken: Das ganze oder teilweise Schmelzen der Polkappe am Nordpol führt dazu, dass keine oder weniger weiße Eisflächen die Sonnenenergie reflektieren, und das dunkle Wasser sich stattdessen erwärmt. Die Permafrostböden der nordischen Tundren, die schätzungsweise doppelt soviel Kohlenstoff wie die Atmosphäre speichern, setzen beim Auftauen das starke Treibhausgas Methan frei – ein Prozess, der nicht mehr umkehrbar ist. Steigt die Temperatur aber weiter auf +2°C, dann bleibt das Nordpolar-meer zehnmal öfter – nämlich alle zehn Jahr einmal – eisfrei, und weitere 2 Millionen qkm Tundra werden auftauen.

Der Meeresspiegel steigt, und Inseln gehen unter

Der Meeresspiegel ist bereits um ± 8 cm angestiegen. Bei +2°C wird er im Jahr 2100 noch um 10 cm höher sein als bei +1,5°C – mit all seinen Folgen für Millionen Menschen auf flachen Inseln, Deltas und Küstenstreifen: Das Ausmaß von Überflutungen bei Sturmfluten und Wirbelstürmen steigt, ebenso die Versalzung des Grundwassers. Die Korallenriffe werden bei +2° C so gut wie vollständig absterben – bei +1,5°C “nur” um ± 80% – und kaum noch Schutz vor starker Brandung bieten. Die Versäuerung der Ozeane nimmt zu, und reduziert die marinen Lebensgemeinschaften wie Algen, Fische etc., so dass die Fangquoten bei + 2°C doppelt so stark abnehmen wie bei +1,5° C werden. All diese Faktoren addieren sich und verringern nicht nur die Zahl der bewohnbaren Inseln, sondern auch die nutzbaren Flächen und die Nahrungsgrundlage für Millionen Bewohner flacher Inseln, Deltas und Küstenstreifen.

Wirbelstürme und Starkregen werden intensiver

Aufgrund mangelnder historischer Datenlagen ergeben Studien über die Anzahl von Stürmen ingesamt keine eindeutigen Trends bei zunehmender Erwärmung. Die meisten Studien jedoch, die sich auf sehr heftige Wirbelstürme konzentrieren, weisen jedoch darauf hin, dass diese an Zahl und Intensität zunehmen. Bei + 2°C liegt das Risiko von Starkregen um ein Drittel höher als bei + 1,5° C.

Dürren, Hitzewellen und Waldbrände

Bereits jetzt ist eine zunehmende Trockenheit in der Mittelmeerregion incl. Südeuropa, Nord- und Westafrika und dem Nahen Osten festzustellen, die mit weiterer Erwärmung weiter ansteigt. Bei +2° C werden vor allem rund ums Mittelmeer Trockenheit und Dürren sowie das Risiko von Wald- und Buschbränden im Vergleich zu +1,5° C stark zunehmen.

Die Lebensbedingungen werden für viele Millionen noch prekärer

Die Erträge von Mais, Weizen und Reis werden stärker sinken; die Ernährungslage wird sich vor allem im Sahel, in Südafrika, der Mittelmeerregion, Mitteleuropa und Amazonien verschlechtern. Krankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber werden sich weiter verbreiten; Hitzeinseln in Städten verstärken noch die Effekte von Hitzewellen, vor allem in Slums. Die stärksten negativen Auswirkungen auf das ökonomische Wachstum werden in tropischen und subtropischen Ländern in der Südhemisphäre sein, insbesondere auf die Versorgung mit Nahrung, Wasser und Energie. Gerade für arme Menschen in armen Ländern, Indigene, Bewohner flacher Inseln und von Trockengebieten ist dieser kleine Unterschied von 1,5°C zu 2°C eine Frage von Leben oder Tod.

Die Anpassung wird schwieriger, die Schäden und Verluste steigen

Die Maßnahmen, sich an den Klimawandel anzupassen, werden insbesondere für kleine Inselstaaten und die ärmsten Länder mit steigenden Temperaturen immer schwieriger und teurer. Bereits die derzeitige Erwärmung von ± 1°C zwingt Hunderttausende von Menschen, ihre Heimat – auf Inseln, in Überschwemmungs- oder Dürreregionen – vorübergehend oder dauernd zu verlassen. Bei einem Anstieg auf +1,5°C wird die Zahl der Klimaflüchtlinge weiter steigen, aber viel weniger als bei +2°C.

Nachhaltige Entwicklung, Bekämpfung von Armut und Ungleichheit

Die Auswirkungen einer um 1,5°C wärmeren Welt treffen unverhältnismäßig stark benachteiligte und verletzbare Bevölkerungsgruppen – Menschen, die subsistent mit und direkt von der Natur leben, Indigene, Kinder und Alte, arme Arbeiter, Slumbewohner und Bewohner der Arktis und armer kleiner Inselstaaten. In einem eigenen Kapitel zeigt der IPCC, wie sehr Maßnahmen zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) und zum Klimaschutz sich gegenseitig ergänzen. Ohne SDG-Aktivitäten werden Anpassung und ein Einhalten des 1,5° C-Ziel nicht möglich sein. Bei Temperaturen über +1,5° C sind Ernährungssicherheit und Armutsbekämpfung kaum noch zu erreichen. Soziale Gerechtigkeit und Gleichheit sind Kernpunkte widerstandsfähiger Entwicklungspfade in Richtung +1,5°C. Die Berücksichtigung von Kriterien für Moral und Gerechtigkeit kann helfen, die ungleiche Verteilung der negativen Folgen des Klimawandels, insbesondere für arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen in allen Ländern zu lindern. Dazu gehören bessere und gestärkte Regierungsführung ebenso wie technologische Erneuerung, Transfer von Finanzmitteln sowie Änderungen in Verhaltensweisen und Lebensstilen.Eine gut konzipierte Mischung von regionaltypischen, partizipativen und kohärenten Reduktions- und Anpasssungsmaßnahmen bringt Vorteile für eine nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung selbst bei einer Erwärmung auf +1,5°C mit sich. Sie sind am effizientesten, wenn lokale und regionale Entscheidungsträger von nationalen Regierungen unterstützt werden. Die Stärkung der Fähigkeiten von nationalen und sub-nationalen Autoritäten, der Zivilgesellschaft, des privaten Sektors, von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften kann anspruchsvolle Aktionen in Richtung von +1,5°C fördern. Dabei kommt internationaler Kooperation eine Schlüsselrolle zur Stärkung von sich entwickelnden und verwundbaren Staaten zu.

Ein skeptischer Blick auf Geoingeneering

Der IPCC weist zudem im vollen Report (weniger im Summary) darauf hin, dass technische Lösungen, Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre aufzunehmen, möglicherweise eine notwendige Ergänzung darstellen, aber derzeit noch unausgereift und mit vielen technischen und sozialen Risiken verbunden sind. Er benennt unterschiedliche Reduktionspfade zum +1,5° C-Ziel und darin auch die Möglichkeit, Kohlenstoff aus der Atmosphäre (CCS) und über Bioenergie (BECCS) zu speichern, wobei diese Möglichkeiten in großem Maßstab als begrenzt eingeschätzt werden. Zudem sind sie mit zahlreichen sozialen Kollateraleffekten und Unsicherheiten über die Dauerhaftigkeit der Speicherung verbunden. So würde zum Beispiel die Nutzung von mehr Landflächen zur Speicherung von CO2 in Biomasse die Umwidmung riesiger Flächen voraussetzen; bis zu 8 Mio. qkm Weideland und 5 Mio. qkm Ackerland müssten in ± 13 Mio. qkm für Energiepflanzen und Wälder umgewandelt werden, was mit enormem sozialen Zündstoff verbunden wäre (wer denkt hier nicht an direkt an Landgrabbing, DM).

Emissionspfade zu einer Erwärmung von +1,5°C

Der IPCC betont, dass es immer noch möglich ist, eine Überhitzung über 1,5°C zu verhindern, und weist dazu verschiedene Emissionspfade auf (die hier nicht weiter dargestellt sind). Dazu müssen die globalen Emissionen deutlich vor 2030 ihren Höhepunkt überschritten haben, sich bis 2030 halbieren und bis 2050 auf Null sinken. Dies ist möglich, setzt aber sofortige und drastische Änderungen in unserem Wirtschaften und Verhalten voraus und ein ab sofort deutlich vergrößertes und vor allem koordiniertes Portfolio an Maßnahmen voraus. Business as usual war gestern – sofortiges Handeln ist notwendig!

Schlussbemerkung

Dieser Bericht ist alarmierend. Er zeigt, dass das +2°C-Ziel kein Ziel mehr sein kann, sondern nur noch das +1,5°C-Ziel übrig bleibt. Dies ist eine alte Forderung fast aller Entwicklungsländer und der globalen Zivilgesellschaft, die nun wissenschaftlich fundiert ist. Und dieses Ziel kann erreicht werden. Es bedeutet, dass die bisherigen Reduktionsziele der EU und Luxemburgs an die Realität angepasst werden müssen, und zwar so, wie sie CAN-Europe sowie VotumKlima und das Klima-Bündnis Lëtzebuerg (bei denen die ASTM Mitglied ist) in ihren Forderungen zur Wahl 2018 bereits festgehalten haben: bis 2030 eine Reduktion der Treibhausgase um mindestens 55%, um bis zur Jahrhundertmitte auf Null zu sinken und komplett durch Erneuerbare Energien ersetzt zu werden. Erstaunlich und begrüßenswert ist, dass der Weltklimarat ein eigenes Kapitel den SDGs und der Armutsbekämpfung im globalen Maßstab widmet (in den meisten bisherigen Presseveröffentlichungen ging dies unter); so füllt er das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“ mit Inhalten. Er zeigt, dass wir das Ziel nur durch grundlegende Veränderungen in unserem Wirtschaften und Verhalten erreichen können – und zwar ab sofort – und bestätigt die Richtigkeit und Notwendigkeit unserer politischen und Bildungsarbeit.