Fabian Scheidler –

Es gehörte schon immer zu den schmutzigen Geheimnissen des Kapitalismus, dass er mit freien Märkten sehr wenig zu tun hat und von Anfang an untrennbar mit staatlichen Herrschaftsstrukturen verflochten war. Die frühneuzeitlichen Staaten gewährten Händlern und Bankiers, wie den Fuggern, Monopolrechte als Gegenleistungen für Kredite, mit denen die Landesherren Söldner und Rüstungsgüter bezahlten. Nur durch diese Kredite konnten die sich neu formierenden Territorialstaaten ihre Macht aufbauen. Und nur durch die Monopole konnten die Händler und Bankiers die enorme Konzentration von Kapital in ihren Händen erreichen, ohne die der Kapitalismus undenkbar wäre. Die ersten Aktiengesellschaften des 17. Jahrhunderts waren Schöpfungen von Staaten und wurden von ihnen mit Charterbriefen, Monopolrechten und sogar militärischen Mitteln ausgestattet.[1]

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich darüber hinaus einige weitere Methoden entwickelt, mit denen Staaten die Maschinerie der endlosen Geldverwertung in Gang halten. Drei Strategien sind dabei von besonderer Bedeutung: Subventionen, leistungslose Einkommen aus Eigentumsrechten und Aneignung durch Schulden. Diese Dreifaltigkeit der Tributökonomie wird immer wichtiger, je instabiler die Weltwirtschaft wird, denn sie beschert dauerhafte Geldflüsse auch dann, wenn sich am Markt kaum noch Profite durch den Verkauf von Gütern und Dienstleistungen erzielen lassen.

Konzerne am Tropf

In fast allen Staaten der Erde existiert ein komplexes Subventionsdickicht, durch das private Konzerne mit Steuergeldern kontinuierlich gefördert werden. In den letzten Jahrzehnten ist dieses Subventionsnetz zu einer Art Herz-Lungenmaschine für den dahinsiechenden Kapitalismus geworden. Ein Großteil der 500 größten Konzerne der Erde wäre ohne die massive Unterstützung durch Steuergelder längst bankrott. Die Erdöl-, Erdgas- und Kohleindustrie, zum Beispiel, wird nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) jedes Jahr mit rund 5900 Milliarden Dollar subventioniert. Da wirkt es schon fast wie peanuts, wenn die deutsche Bundesregierung den Bau von LNG-Terminals mit sieben Milliarden Euro fördert, um einen der klimaschädlichsten Energieträger zu importieren: Fracking-Gas. Oder wenn sie den Kohlekonzernen RWE und LEAG weitere 4,4 Milliarden für „entgangene Gewinne“ schenkt.

Die gigantischen Ölsubventionen stützen auch massiv die krisengeschüttelte Automobilindustrie weltweit. Das deutsche Umweltbundesamt hat errechnet, dass der Autoverkehr in Deutschland, wenn man Umweltschäden und Unfälle miteinberechnet, die Allgemeinheit jedes Jahr 59 Milliarden Euro mehr kostet, als der Fiskus über Auto-bezogene Steuern und Gebühren einnimmt.[2] Würden die wahren Kosten auf die Benzinpreise umgelegt, wäre Autofahren für die meisten Menschen unbezahlbar, die Branche würde zusammenbrechen.

Die Flugzeugbranche produziert den am schnellsten wachsenden Anteil an Treibhausgasen und bezahlt für die daraus folgenden Schäden nichts. Für ihre Infrastruktur, insbesondere den Bau von Flughäfen, kommen fast ausschließlich die Steuerzahler auf. Allein der BER-Flughafen bei Berlin hat bereits sieben Milliarden Euro verschlungen, das Äquivalent von etwa einer Million Kitaplätzen. Die Ausnahme von der Umsatzsteuer und des Flugbenzins von einer Kerosinsteuer kostet den deutschen Staat allein 12 Milliarden Euro jährlich.

Das gesamte Großbankensystem der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und vieler anderer Staaten würde heute nicht mehr existieren, wenn es seit 2008 nicht mit Steuergeldern in Billionenhöhe gerettet worden wäre. Unter dem Strich, nach allen geleisteten Rückzahlungen, hat das Freikaufen der Anteilseigner allein Deutschland 60 Milliarden Euro gekostet. Darüber hinaus hat die Europäische Zentralbank (EZB) nach der Finanzkrise durch sogenanntes Quantitative Easing 9000 Milliarden Euro in den Bankensektor gepumpt. Ein Monat dieser Stützungsprogramme hätte genügt, die Staatsschuldenkrise Griechenlands zu lösen. Doch stattdessen haben die EZB, der IWF und die EU-Kommission – mit massiver Unterstützung der deutschen Regierung – Griechenland in eine humanitäre Krise getrieben, um ein radikales Kürzungs- und Privatisierungsprogramm durchzusetzen. Die sogenannten Rettungspakete für Griechenland in Höhe von 300 Milliarden Euro flossen vollständig in den Bankensektor, unter anderem um deutsche Banken zu stützen; die griechische Bevölkerung hatte davon nichts.

Auch die Pharmaindustrie erfreut sich massiver Zuwendungen. In der Coronakrise, zum Beispiel, erhielten Pfizer und Moderna acht Milliarden Euro an staatlichen Förderungen zur Impfstoffentwicklung, nur um anschließend nie dagewesene Profite von 20 Milliarden Euro zu verbuchen, die in die Hände der Anteilseigner flossen. Steuern zahlen diese Unternehmen kaum, Moderna hat gerade einmal sieben Prozent an den Fiskus abgeführt. Das kann man auch als „Sozialismus für Reiche“ bezeichnen. Im Englischen spricht man auch gern vom corporate nanny state, dem Wohlfahrtsstaat für Konzerne.

Die von den Staaten geduldete oder – wie im Falle Luxemburgs – sogar aktiv geförderte Steuervermeidung und Steuerflucht kostet den Fiskus in der EU nach Schätzungen mehrere hundert Milliarden Euro pro Jahr – auch dies eine Subvention für Großunternehmen und Reiche.

Die Agrarindustrie, die wesentlich für Klimachaos, Artenschwund und Wasserkrise verantwortlich ist, erhält aus Brüssel etwa 50 Milliarden Euro, um das, was von unseren Ökosystemen noch übrig ist, zu verwüsten.

Die Rüstungsindustrie – der wohl zerstörerischste aller Sektoren, der durch den Ukraine-Krieg einen weiteren Boom erfahren hat – ist ohnehin fast vollständig von Staaten finanziert. Allein die USA geben jedes Jahr 850 Milliarden Dollar dafür aus, Tendenz steil steigend. Dagegen haben die Industriestaaten bis heute ihr Versprochen nicht gehalten, die vergleichsweise bescheidene Summe von 100 Milliarden Dollar bereitzustellen, um Ländern des Globalen Südens dabei zu helfen, die ärgsten Folgen des Klimachaos zu bewältigen.

Diese Liste könnte man noch eine ganze Weile fortsetzen. Sie zeigt, dass die vielbeschworenen „freien Märkte“ eine Fata Morgana sind, ein sorgsam gepflegter Mythos, der verschleiern soll, dass die Maschinerie der endlosen Geldvermehrung nur noch funktioniert, weil wir sie täglich mit Unsummen von Steuergeldern subventionieren. Während Staaten rund um die Erde massiv an Ausgaben, vor allem im Sozialbereich, sparen, werden diese Subventionen kaum angetastet, oft sogar ausgebaut.

Nun führen Verteidiger dieses Wohlfahrtsstaats für Konzerne ins Feld, es würden dadurch Arbeitsplätze gesichert. Dieses Argument ist offensichtlich unsinnig, weil man mit demselben Geld genauso gut andere, gemeinwohlorientierte Aktivitäten fördern könnte, bei denen pro eingesetztem Euro oft sogar weit mehr Arbeitsplätze entstehen, etwa im Gesundheitsbereich, dem öffentlichen Verkehr, der Bildung oder der kleinbäuerlichen ökologischen Landwirtschaft.

Die Liste zeigt auch, dass die größten Subventionsempfänger zugleich die destruktivsten Branchen der Erde sind. Es scheint die Regel zu gelten: je zerstörerischer, desto mehr Staatshilfe. Fast alle der für das Klimachaos hauptverantwortlichen Unternehmen, einschließlich der sie finanzierenden Banken, wären entweder bankrott oder in erheblichen Schwierigkeiten, wenn sie nicht künstlich von Staaten am Leben gehalten würden. Mit anderen Worten: Die Streichung dieser Subventionen ist ein entscheidender Hebel, um die Spirale der Zerstörung zu stoppen und einen sozial-ökologischen Wandel auf den Weg zu bringen. Der Tropf, an dem diese Unternehmen hängen, ist zugleich ihr verwundbarster Punkt. Denn, während transnationale Unternehmen demokratisch schwer angreifbar sind, bestimmen über die Verwendung von Steuergeldern – zumindest theoretisch – die Bürger. Die scheinbar allmächtigen Giganten der Weltwirtschaft würden sehr rasch ins Straucheln kommen, wenn ihnen die künstliche Ernährung abgestellt würde.

 

Rente statt Profit

Das Subventionswesen für Konzerne, für ihre Shareholder und Manager, ist Teil einer größeren Struktur, die man bisweilen als „Neofeudalismus“ bezeichnet hat. Den oberen Schichten ist es gelungen, sich ein „bedingungsloses Maximaleinkommen“ zu sichern, das von ihren Leistungen und Verfehlungen weitgehend entkoppelt ist. Nicht Markterfolge erhalten und vermehren die großen Vermögen und Einkommen, sondern Strategien der Privilegiensicherung, insbesondere durch Einflussnahme auf den Staat. Die staatliche Gabenökonomie für Superreiche verbindet sich mit dynastischen Strukturen, in denen Macht und Reichtum wie einst beim Adel durch die Geburt vererbt werden.

Dazu gehört auch, dass ein immer größerer Teil des Kapitals gar nicht durch Produktion und Verkauf von Waren und Dienstleistungen vermehrt wird, sondern durch das, was man in der Ökonomik „Renten“ nennt. „Rente“ bedeutet hier nicht Altersversorgung, sondern ein Einkommen aus Gebühren für die Nutzung von Land, Wohneigentum oder aus „geistigen Eigentumsrechten“, zum Beispiel Patenten. Entscheidend ist, dass Kapitalbesitzer hier gar nichts produzieren und dann verkaufen, sondern allein aus dem Rechtstitel auf ein Eigentum ein Einkommen generieren.

 

Jenseits des Tributs: Die Trennung von Staat und Großkapital

Tribut ist eine Abgabe, die ein besiegtes Volk dem Sieger zu erbringen hat. Sich nicht zu unterwerfen, bedeutet, den Anspruch auf Tribut zurückzuweisen. So, wie es einst der jüdische Widerstand gegen das Römische Weltreich oder die indische Befreiungsbewegung gegen das britische Empire tat.

Dabei steht heute der vermeintlich unbesiegbare Gegner bei näherem Hinsehen auf tönernen Füßen. Das globale Tributsystem funktioniert nur, weil gewählte Regierungen unsere Steuergelder über unzählige offene und versteckte Wege in die Hände der reichsten ein Prozent kanalisieren und uns am Ende einreden, das Ganze beruhe auf „Markterfolgen“. Der erste Schritt zur Überwindung dieses Systems besteht darin, es ans Licht der Öffentlichkeit zu ziehen, seine Legitimität zu bestreiten und es zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen. Die staatliche Alimentierung der Konzerne ist so gut wie nie Thema von Wahlkämpfen oder Talkrunden. Die meisten Menschen haben keine Ahnung, was mit ihren Steuergeldern wirklich geschieht und welche Alternativen es dazu gibt.

In einer größeren Perspektive geht es darum, mit der Trennung von Staat und Kapital endlich ernst zu machen. Liberale fordern seit jeher, der Staat solle sich aus der Wirtschaft heraushalten. Doch hat sich dies bisher als bloße rhetorische Fassade erwiesen, denn über die Nabelschnüre, mit denen der Staat das private Kapital versorgt, wird vornehm geschwiegen. Und das hat gute Gründe: Die liberale Rhetorik beim Wort zu nehmen, würde das Ende des kapitalistischen Weltsystems bedeuten, das ohne öffentliche Alimentierung nicht existieren kann.

Eine wirksame Trennung von Staat und Kapital würde enorme Freiräume für andere, zukunftsfähigere Wirtschaftsformen schaffen. Dabei muss man keineswegs bei null anfangen. Seit der französischen Revolution ist es sozialen Bewegungen in langen Kämpfen gelungen, dem Staat, der anfangs nichts als eine despotische Militärorganisation war, gemeinwohlorientierte Funktionen abzuringen. Diesen Weg weiterzugehen bedeutet, die Nabelschnüre des Kapitals und des militärisch-industriellen Komplexes Schritt für Schritt zu kappen und die frei werdenden Ressourcen in den Aufbau einer postkapitalistischen ökologischen Gesellschaft zu kanalisieren. Dazu gehört auch eine tiefgreifende Veränderung unserer ökonomischen Institutionen, ihrer Rechts- und Eigentumsformen.[3]

Fabian Scheidler ist Autor des Buches Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, u.a. auf Französisch bei Le Seuil (www.megamaschine.org). Sein jüngstes Buch heißt Der Stoff, aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen (Piper 2021).

Fabian Scheidler schreibt als freier Journalist u.a. für die Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau, Wiener Zeitung, Taz, Blätter für deutsche und internationale Politik und Radio France. Im Jahr 2009 erhielt er den Otto Brenner Medienpreis für kritischen Journalismus.

www.fabianscheidler.com


[1] Vgl. Scheidler, F., Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation, Promedia Verlag, Wien, 2015 (Französisch: Le Seuil, Paris 2020).

[2] Umweltbundesamt, Daten zum Verkehr, Dessau, 2012, S. 62, www.umweltbundesamt.de/publikationen/daten-verkehr

[3] Zum Thema Staat, Kapital, Subventionen und Tribut sowie zu Perspektiven einer postkapitalistischen Ökonomie vgl. auch Scheidler, F., Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen, Promedia Verlag, Wien 2017.