17 Jahre bis zum Urteil – Chevron/Texaco – Die unvollendete Geschichte eines Prozesses, Teil 2

Erinnern wir uns (siehe bp3w Nr. 310, Juli 2020 ): Am 3.11.1993 reichen 15 Siedler und Indigene aus dem Amazonasgebiet Ecuadors in New York eine Sammelklage gegen Texaco ein. Am 16.5.1994 gründen sie und viele andere von der Ölverschmutzung Betroffene und zivilgesellschaftliche Organisationen den Frente de Defensa de la Amazonia als formelle Struktur der Kläger. Und 1995 erkennt Texaco an, Schäden angerichtet zu haben, und schließt ein Abkommen mit dem ecuadorianischen Staat mit der Zusage, 40 Mio.$ für ein Hilfsprogramm incl. der Reinigung von gut einem Drittel der giftigen Becken zu investieren. In diesem Artikel folgen nun die Prozessjahre bis zum Urteil 2011.

 

Texaco unterbreitet Angebote zur außergerichtlichen Einigung

Ab 1995 „reinigt“ Texaco – wie mit der Regierung vereinbart und entsprechend seinem Anteil am Förderkonsortium – gut ein Drittel der giftigen Becken und erreicht 1998, dass der Staat Ecuador Texaco bescheinigt, sein Abkommen erfüllt zu haben und dass er keine weiteren Ansprüche mehr an den Konzern stellt wird. Zur gleichen Zeit versucht der Konzern, die Front der Kläger zu spalten: Es gelingt ihm, 1997 die beiden großen Kichwa-Organisationen FCUNAE und FOKISE mit einem Angebot von 1 Million $ herauszubrechen. Weitere Vorschläge zur außergerichtlichen Einigung folgen. Zeitgleich versucht Texaco, den Prozess aus den USA nach Ecuador zu verlagern, da man sich dort leichteres Spiel mit der Justiz dieses kleinen Entwicklungslandes erwartet – also lobt man Ecuadors Rechtssystem nach außen, es sei genauso effizient und unabhängig wie europäische die Justiz in Europa.

Die 30.000 Kläger klären ihre Entscheidungsstrukturen

Texacos Angebote zwingen die Betroffenen in einen Klärungsprozess: Sollen wir uns auf darauf einlassen, oder sollen wir den langen und unsicheren Weg vor Gericht durchziehen?. Eine Mehrheit tendiert zu außergerichtlichen Einigungen, viele Allierte (wie zum Beispiel die angesehene Umwelt-NGO Accion Ecologica) plädieren für den gerichtlichen Weg. Nach einem Angebot im September 1999 einigen sich die Delegierten der 30.000 Betroffenen in mehreren konstitutiven Versammlungen in 2000 und 2001 vor allem auf die interne Struktur: Es gibt vier Ebenen

  • die Anwälte und Berater, das Exekutivkomitee, die Vollversammlung der „Asamblea de Delegados de los Afectados por Texaco » und die Dorfgemeinschaften an der Basis.
  • Die Vollversammlung ist das höchste Organ; in ihre sitzen die Delegierten der 22 Siedlergemeinden in den Ölfeldern und der 4 indigenen Völker der Siona, Cofan, Secoya und Huaorani.
  • Das Exekutivkomitee besteht aus vier Vertretern der Indigenen, zwei Siedlern und einem Vertreter des Frente; eine/r davon ist Koordinator; m.a.W. in der Vollversammlung haben die mestizischen Siedler die Mehrheit, im Exekutivkomitee die Indigenen. Die Asamblea wird nach außen durch den Koordinator oder ein gewähltes MItglied des Exekutivkomitees repräsentiert. Der Frente ist ein Mitglied der Asamblea mit gleichen Rechten wie alle anderen; zudem ist er verantwortlich für die Finanzen und das Funktionieren der Asamblea und leistet technische Unterstützung für den Prozess. Der Präsident des Frente – bis 2002 Luis Yanza – wird auch der erste Koordinator der Asamblea. Faktisch ist der Frente fortan das zentrale Organ der Kläger im Prozess.

Ein neuer Akteur betritt das Spiel: Chevron

Texacos Angebote haben noch ein anderes Motiv: das Risiko der Altlasten, die ja im Zentrum des Prozesses stehen, soll gemindert werden, denn – was die Kläger nicht wissen – es liegt Texaco ein Übernahmeangebot von Chevron vor. Im Oktober 2001 schluckt Chevron schließlich Texaco und übernimmt damit auch seine Verbindlichkeiten. Im August 2002 erreicht Chevron auch gegen den Widerstand der Kläger das Ziel der Prozessverlagerung nach Ecuador. Chevron schaltet nun einen anderen Gang ein und engagiert den Rechtskonzern Gibson, Dunn & Crutcher, der für seine knallharten Methoden bekannt ist. Ein neuer Akt mit anderen Drehorten und Akteuren beginnt …

Der Prozess entfaltet ungeahnte Wirkungen

Im Mai 2003 wird der Prozess, begleitet von einer machtvollen Demonstration der betroffenen Indigenen und Siedler, am Obersten Gericht der Provinz Sucumbios in Lago Agrio, dem Hauptort der Ölregion, eröffnet; der Richter heißt Alberto Guerra. Es folgen Jahre der Beweisaufnahmen in den Ölfeldern. Von ortskundigen Bewohnern aufgedeckt und organisiert vom Frente werden immer mehr Boden- und Wasserproben als Beweisstücke für den Prozess gezogen und analysiert. Dabei zeigt sich auch, dass viele der „Reinigungen“ der giftigen „piscinas“ voller Reste von Öl- und Formationswasser durch Texaco schlicht und einfach Pfusch war: oft sind die Becken einfach mit Erde zugedeckt worden. Pablo Fajardo, ein Junge aus der Ölregion, der Jura studiert hat, entwickelt sich zu einem wichtigen Anwalt der Kläger.

In der gesamten Ölregion wächst der Unmut über die Ölkonzerne. Verhandlungen von Gemeinden mit ihnen über den Bau und die Finanzierung von Straßen und Krankenhäusern scheitern, schließlich kommt es zunächst punktuell, dann im August 2005 flächendeckend zu Widerstand: Beim ersten Generalstreik in den beiden Ölprovinzen gehen fast alle Bürgermeister und Abgeordnete mit auf die Straße. Demonstranten besetzen die zentrale Pumpstation der Pipeline zur Küste, drehen den Hahn zu und legen damit fast die gesamte Rohölproduktion des Landes lahm. Die Regierung ruft den Notstand aus, bricht mit Militär und Polizei Blockaden, aber wenig später muss der Innenminister wegen seiner harten Linie zurücktreten. Die Stimmung im Lande dreht sich allmählich gegen die Ölkonzerne; 2007 besucht der neugewählte Präsident Rafael Correa die Ölfelder im Prozessgebiet und sagt öffentlich, dass solche Umweltverbrechen sanktioniert werden müssen.

Im November 2008 veröffentlicht der unabhängige Geologe Richard Cabrera eine Umweltstudie und empfiehlt dem Gericht, Chevron verantwortlich für Schäden in Höhe von 26 Mrd. $ zu machen. Ein weiteres Gutachten kommt im April 2010 auf Schäden bis zu 16 Mrd. $.

Die „Schule der Dorfsprecher“

Da auch andere Ölfirmen in der Region Böden und Gewässer kontaminieren, wenden sich immer mehr Gemeinden mit der Bitte um rechtliche Beratung und Unterstützung an den Frente. Nach anfänglichen punktuellen Workshops in den 90er Jahren entwickelt er die „Schule der Dorfsprecher“, um die vorherige punktuelle Bildungsarbeit in Umwelt- und Menschenrechten zu systematisieren. Ab 2007 nehmen jährlich etwa 100 Männer und Frauen aus der Ölregion an etwa 36 Wochenenden im Jahr an der dreijährigen stufenweisen Fortbildung statt. Die Fächer reichen von Umweltrecht und -monitoring über Gruppenführung, Kommunikation und Konfliktlösung bis hin zu verbesserten Methoden der Viehzucht. Die Schule entwickelt sich zu einer Art Volkshochschule, an der auch Lehrer von Universitäten des Landes unterrichten; eine enge Partnerschaft besteht mit der Universität San Francisco de Quito. So wächst in der Bevölkerung der Ölregion ein praktisches Wissen heran, denn die Absolventen sind eng in ihren Gemeinden eingebunden und engagieren sich dort u.a. bei der Einhaltung der Umweltrechte, sie organisieren Kontrollen der Wasserqualität, strengen Verfahren gegen Ölkonzerne an und erzwingen in Verhandlungen Kompensationen oder verhindern neue Konzessionen.

Die „Schule der Dorfsprecher“ wird seit 2008 von Gemeinden des Klima-Bündnis Lëtzebuerg und der ASTM ein Jahrzehnt lang unterstützt werden.

 

Prominente Unterstützung aus den USA

In den USA, dem Stammland von Texaco und Chevron, und auch in Großbritannien solidarisieren sich immer mehr Prominente mit den Betroffenen, zum Beispiel Brad Pitt und Angelina Jolie; Sting und Bianca Jagger überzeugen sich vor Ort von der Situation und unterstützen unter anderem Projekte zum Einfangen von Regenwasser. 2008 erhalten Luis Yanza und Pablo Fajardo in den USA den renommierten Goldman Prize. Große Breitenwirkung erzielen auch 2009 die beiden chevronkritischen Filme „Crude“ und „60 Minutes“. Der Prozess wird allmählich weltweit bekannt.

Das erste Schiedsgerichtverfahren

Doch die andere Seite schläft nicht und eröffnet eine neue Front: Der Konzern liegt als Rechtsnachfolger von Texaco schon seit Jahren in einem gerichtlichen Clinch mit dem Staat Ecuador über die Weiterverarbeitung und Nutzung des geförderten Rohöls im Lande und hat gegen ihn insgesamt sieben Klagen vor ecuadorianischen Gerichten eingereicht. Da bisher keine Urteile zustande kamen, reicht Chevron eine Klage gegen den Staat Ecuador wegen Rechtsverweigerung und Verzögerung vor dem Ständigen Schiedsgericht in Den Haag ein. Diese sogenannten ISDS-Verfahren (Investor-State Despute Settlement) sind Streitschlichtungsverfahren zwischen Investoren und Staaten; Grundlage ist in diesem Fall das Investitionsschutzabkommen zwischen den USA und Ecuador. Solche Verfahren ziehen sich immer über Jahre hin; das Urteil am 31.8.2011 wird lauten: Ecuador schuldet Chevron 77,7 Mio $, die sich mit Zinsen (von 2006 bis August 2011) auf 96,4 Mio $ summieren. Dieses Urteil soll später noch eine wichtige Rolle spielen….

Das zweite Schiedsgerichtverfahren

Allmählich dämmert es Chevron, dass die Verlegung des Prozesses nach Ecuador anders läuft als geplant. Im Sept. 2009 verklagt Chevron den Staat Ecuador noch einmal vor dem Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag. Chevron bezieht sich dabei auf den Vertrag von 1998 mit Ecuador: Texaco habe gemäß der Vereinbarung von 1995 40 Millionen Dollar für die Säuberung der giftigen Becken ausgegeben und die ecuadorianische Regierung habe die Erfüllung dieser Vereinbarung bestätigt und sogar in einer Vergleichsvereinbarung das Unternehmen schriftlich von weiteren Ansprüchen entbunden.
Aber der Frente hält öffentlich dagegen, dass erstens diese Vereinbarung Chevron nicht von Ansprüchen Dritter befreit und dass zweitens Texaco viel gepfuscht und damit den Vertrag von 1995 gar nicht erfüllt hat. Damit hat Chevron nun zwei Klagen gegen den Staat Ecuador laufen; die zweite wird erst im September 2018 entschieden werden. Chevron hat mittlerweile seine Meinung über Ecuadors Justizsystem diametral geändert; der Konzern ahnt, dass das Urteil zum Prozess in Lago Agrio womöglich gar nicht zu seinen Gunsten ausfallen wird und zieht vorsichtshalber schon mal alle Guthaben aus Ecuador ab.

Das Urteil

Am 14.2.11 verurteilt das Oberste Gericht von Lago Agrio den Ölkonzern zu einer Strafe in Höhe von 8 Milliarden Dollar und einer öffentlichen Entschuldigung, um die Schäden, die er im Amazonasgebiet von Ecuador an Mensch und Umwelt angerichtet hat, wiedergutzumachen. Er hat über 600 nichtisolierte Becken mit giftigen Ölrückständen hinterlassen und 64 Millionen Liter Öl und 76 Milliarden Liter Förderwasser ungeklärt in Flüsse und Seen „entsorgt“. Die Strafe wird später auf 9,6 Mrd. $ fixiert.
Chevron reagiert knallhart: Das Urteil sei illegitim und undurchführbar. Der Leiter seiner Rechtsabteilung erklärt: “Wir werden das ausfechten, bis die Hölle zufriert – und dann werden wir es auf dem Eis ausfechten.” Bereits zwei Wochen vor der Urteilsverkündigung ist Chevron in den USA zum Gegenangriff auf den Anwalt des Frente in den USA, Steven Donziger, übergegangen.

Um die weltweiten Folgen des Urteils bis heute und die Unzulänglichkeit des globalen Rechtssystems geht es in der nächsten Ausgabe des bp3w. Dabei stellt das Statuieren eines Exempels an Steven Donziger ein Lehrstück dar, wie große Konzerne jeglichen Widerstand gegen ihre Projekte brechen wollen…

 


Quellen (eine Auswahl):

zu den internen Abläufen bei den Klägern:

  •    Hg: UDAPT und INREDH: Luis Yanza: UDAPT vs. CHEVRON-TEXACO Las voces de las Victimas, Oct. 2014,
  •    websites: www.udapt.org, www.makechevroncleanup.com (FDA),     amazonwatch.org
  •    eigene Besuche und Gespräche in Ecuador und interne Korrespondenz mit FDA

zu den Schiedsgerichten:

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