Was für eine politische Arbeit machen ONGD in Luxemburg? Was sind die aktuellen Tendenzen und Entwicklungen?

Luxemburger ONGD arbeiten mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen, mit dem Ziel, deren Lebensbedingungen zu verbessern. Armut hat viele Dimensionen und von daher sind die Projekte auch sehr unterschiedlich. Es kann sich genauso gut um den Bau einer Schule handeln, wie um die Begleitung von UnternehmerInnen mit Hilfe von Mikrokrediten.

Die ONGD setzen sich auch für die Interessen und Rechte von Partnerorganisationen und Bevölkerungsgruppen ein: Recht auf Land, Recht auf Bildung, Recht auf juristische Vertretung.

Einige ONGD haben sich in der Vergangenheit in diesem Bereich ein beachtliches Fachwissen angeeignet und Partnerschaften aufgebaut, die auch schon einige Erfolge zu verzeichnen haben. Zum Beispiel haben sich ASTM, Partage.lu und Fondation Caritas, um nur einige zu nennen, jahrelang für die Ratifizierung der ILO 169-Konvention zum Schutz der Rechte der indigenen Völker eingesetzt, die nun 2018 erfolgte.

Da in den letzten Jahren der Handlungsraum für die Zivilgesellschaft in vielen Ländern – so auch in den Partnerländern – eingeschränkt wurde, stellen wir fest, dass die ONGD zunehmend mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert werden. Zudem sind die negativen Folgen von ungleichen Handelsbeziehungen und Klimawandel spürbarer.

Von daher stellen wir fest, dass sich immer mehr ONGD für politische Arbeit interessieren und verstehen wollen, wie politische Entscheidungen hier mit den Partnerorganisationen dort interagieren und wie sie diese, wenn sie negativ sind, beeinflussen können. Sie zögern aber oft noch, da diese Arbeit mit Regierungskritik einhergeht und neue Kompetenzen erfordert. Dass sich aber in diesem Bereich immer mehr ONGD neue Kompetenzen und Ressourcen geben müssen, bleibt nicht aus.

Wie könnte der Beitrag der luxemburgischen ONGD bei der Ausarbeitung der offiziellen Entwicklungspolitik verstärkt werden?

Die aktuelle Regierung will verstärkt auf partizipative Prozesse setzen, bei denen die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Wir haben dies schon mit der Entwicklung des letzten „Plan national de Développement Durable“ und des „Plan National Entreprises et Droits Humains“ gesehen.

Wichtig wäre, dass diese Zusammenarbeit sich nicht nur auf einige Treffen oder Projekte beschränkt, sondern strukturell festgelegt wird, zum Beispiel in Form von Gremien in denen dem Cercle und ONGD eine wichtige Rolle zugedacht ist. In einigen Ländern ist dies schon der Fall: dort spielt die nationale Plattform eine beratende Rolle bei politischen Entscheidungen, und zwar auf der nationalen, europäischen und internationalen Ebene.

Parallel müssen wir nach Wegen suchen, um unser Fachwissen im politischen Bereich zu stärken. Zusammen mit den LeiterInnen und freiwilligen MitarbeiterInnen, gibt es nur eine Handvoll „advocacy employees“. Dieser Bereich müsste gefördert und in Bezug auf die wachsenden Komplexitäten dieser Arbeit, durch fortbildende Ausbildung und Vernetzung weiterhin professionalisiert werden.

Sie arbeiten für eine bessere Politikkohärenz für Entwicklungszusammenarbeit. Wie ist diesbezüglich die aktuelle Lage in Luxemburg?

Der Cercle hat Ende 2017 einen dritten Barometer zur Politikkohärenz für Entwicklungszusammenarbeit „Fair Politics“ veröffentlicht. Neben thematischen Forderungen wird darin die Regierung aufgefordert ein Instrument zu entwickeln, mit dem bestehende und neue Gesetzesvorlagen auf eventuelle negative Folgen für Entwicklungsländer untersucht werden.

Im Zusammenhang mit der Reformierung des Nachhaltigkeits-Checks, der durch die Umsetzung der Agenda 2030 an Bedeutung gewann, wird nun in diese Richtung gearbeitet. Das ist eine positive Entwicklung.

Das Staatsministerium als allgemeiner Koordinator hat wenig Verfügungsgewalt über die einzelnen Ministerien, und so wird es interessant, zu beobachten und zu verfolgen, in wieweit ein solcher Check von anderen Ministerien angewendet wird, besonders wenn die Entscheidung wirtschaftliche Interessen Luxemburgs betrifft. Wie dabei der Cercle und seine Mitgliedsorganisationen miteinbezogen werden, steht noch offen. Wir werden uns auf jeden Fall weiterhin für mehr Politikkohärenz bei der Entwicklungs-zusammenarbeit einsetzen, da ein solcher Check noch keine nachhaltige und menschenwürdige Handelspolitik gewährleistet.

Luxemburg hat nun eine neue Regierung mit einer neuen Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Angelegenheiten. Ihrer Ansicht nach, was sollten die Prioritäten für diese Legislaturperiode sein? Gibt es dringende Angelegenheiten?

Meiner Meinung nach gibt es zwei dringende Angelegenheiten: Luxemburg als Botschafter für internationale Solidarität und klare Regeln für den Privatsektor in der EZA.

Luxemburg muss seine Rolle als Interessensvertretung für internationale Solidarität und Menschenrechte verstärken. Zum Beispiel: Luxemburg gehört zu den wenigen Ländern, die das Versprechen 0,7 % des Bruttoeinkommens für EZA auszugeben noch einhält und die Gelder vermeintlich ausschließlich für Initiativen mit Entwicklungszielen ausgibt. Klimaprojekte und Kosten, die durch Flüchtlinge anfallen, werden auf andere Budgetlinien verbucht.

Wieso vermeintlich? Unsere Regierung bemüht sich um private Finanzierungszuschüsse, um das EZA-Budget aufzustocken, und versucht dies mit Hilfe von öffentlichen Geldern. Daher ist, für mich, die zweite Priorität, dass sie sich eine Strategie gibt, die vorzeichnet, welche Rolle dem Privatsektors in der EZA zukommt, wieviel zusätzliche Mittel sie sich vom Privatsektor erwartet, nach welchen Kriterien sie die Projekte aussucht und später bewertet.

Wie die Mikrofinanz gezeigt hat, sind “First Movers“ ja vielleicht noch auf der gleichen Wellenlänge, aber wenn das von staatlichen Geldern subventionierte Business Model funktioniert, werden Akteure auftauchen, welche die entwicklungspolitischen Ziele der Regierung nicht mehr teilen. Ich erinnere mich an die Gründung von Luxflag. Auch wenn Luxflag inzwischen selbst zum „Label “ für den Luxemburger Finanzsektor geworden ist, entwickelte die ASBL sein erstes Label, um Investitionsfonds nur dann als Mikrofinanzfonds zu definieren, wenn sie mindestens 50% in Mikrofinanzinstitutionen mit einem gewissen Portfolio investierten. Dies wurde notwendig, da viele Fonds nur scheinbar in der Mikrofinanz tätig waren, aber von öffentlichen Subventionen profitierten.

Der Aufruf nach einer Sorgfaltspflicht für Unternehmen ist ja auch nicht willkürlich: allein 2018 wurden, laut „Front Line Defenders“, 321 Menschenrechts- und UmweltschützerInnen, meist in Konflikten mit Multinationalen, umgebracht. Frankreich und Deutschland haben in diese Richtung bereits Fortschritte gemacht. In Luxemburg setzen sich die ONGD dafür ein, dass Luxemburg bald auch Konkretes aufzuweisen hat.

Welche Entwicklung brauchen wir heute eigentlich?

In Bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit (EZA), haben sich viele Akteure – auch ONGD – mittlerweile schon auf verschiedene Themen und Interventionsmethoden spezialisiert. Es geht um die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern: für bessere Lebensbedingungen, für die Rechte jener Bevölkerungsgruppen, die von der eigenen Regierung nicht ausreichend oder gar nicht unterstützt werden.

Das Prinzip der Vernetzung auf lokaler, nationaler, internationaler und auch thematischer Ebene spielt hier eine immer größere Rolle, und hier sehen viele die Zukunft der EZA: die ONGD als VermittlerInnen und als Menschen- und UmweltrechtsanwältInnen.

Um aus dieser Tendenz eine neue „Definierung“ der EZA zu erzwingen, müsste es aber zum Umdefinieren der Ziele und zum Präzisieren der Rollen aller Akteure kommen: vielleicht ermöglicht dies ja der Rahmen der Agenda 2030.

Es wird aber nicht zu einem Paradigmenwandel führen, da allein schon das Wort Entwicklung Aufschluss darüber gibt, wie wir denken: es ist behaftet mit unserer kolonialistischen Vergangenheitsgeschichte, mit der Helfer- und Hilflosen- Mentalität, und mit dem gängigen Dogma des Wirtschaftswachstums: diese Ansätze sind heute noch zu oft in Ansichtsweisen und Praktiken spürbar.

Es wird aber auch nicht ausreichen, einfach nur ein neues Wort auszusuchen – wie internationale Solidarität zum Beispiel – wenn dieses dann trotzdem nur mit den „alten“ Inhalten ausgefüllt wird. Der Cercle und einige ONGD haben schon versucht, in diese Richtung gehende Reflektionen anzuleiern aber wir konnten uns noch nicht genügend aus dem „Sumpf der alltäglichen Belange“ ziehen. Die EZA-Strategie, die sich die Regierung letztes Jahr gegeben hat, hat einen solchen Diskurs auch nicht zugelassen: im Vergleich zur traditionellen EZA, sagt sie lediglich aus, dass nun alle nur noch als wirtschaftliche Akteure verstanden werden.

Darüber hinaus agieren wir nicht in einem Kontext von gleichgestellten Machtverhältnissen. Hier liegt dann auch das Dilemma der ONGD, die sich immer mehr als Akteure des Dialogs und der Gerechtigkeit verstehen: Die Machtverhältnisse sind nicht gleich! Wie können wir glaubhaft Partnerorganisationen in ihrem Kampf für Landrechte unterstützen, wenn unsere eigene Regierung weiterhin eine Agrarwirtschaft unterstützt, die, wie vom ABC Fund betrieben, aus ehemaligen Bauern Angestellte mit wenigen Rechten macht. Dies ist heute die Situation in vielen Ländern, in denen unsere Mitgliedsorganisationen arbeiten.

Die meisten Parteien haben vor den Wahlen einen gerechten Welthandel gefordert (noch heute in den Programmen nachzulesen), nur stellt sich die Frage, wie sie das tun wollen, und für wen? Wirtschaftliche Interessen, die die Frage nach Menschenrechten im Bereich nur dann aufkommen lässt, wenn es keine negativen Konsequenzen auf unsere Wettbewerbsfähigkeit zu befürchten gibt, zeigt, dass sie ihre Vorschläge nicht konsequent durchdacht haben.

Diplomatie und Verteidigung drohen auf nationaler und internationaler Ebene zu versagen. EZA mit seinem begrenzten Budget und Handlungsspielraum kann hier nicht wiedergutmachen, was in anderen politischen Bereichen versäumt wurde. Und der Ablenkungsversuch, auf die Migration als Problem wird nicht ohne Folgen funktionieren. Ich hoffe, dass die europäischen Wahlen beweisen, dass ich im Unrecht bin.

Nach mehreren Jahren im Privatsektor, arbeitete Véronique Faber als Mikrofinanz-Expertin für die Luxemburger NGO „ADA“ (Appui au Développement Autonome). Sie entwickelte und leitetet das „Microinsurance Network“, eine internationale Plattform für öffentliche und private Organisationen, die im Bereich der Mikroversicherung tätig sind. Heute ist sie verantwortlich für den Bereich politische Arbeit im „Cercle de Coopération des ONGD“, dem Luxemburger Dachverband der ONGD, und arbeitet zum Thema Politikkohärenz für Entwicklungszusammenarbeit. Sie studierte Ethnologie und Afrikanistik an der Universität Wien und Kulturmanagement am University College Dublin.