Cédric Reichel –

Kann man als Aktivist*in für Klimagerechtigkeit eine COP27 kritisieren, an deren Ende eine “historische Entscheidung“ steht, einer jahrzehntelangen Forderung der Zivilgesellschaft und der Staaten des Globalen Südens Rechnung zu tragen und einen Loss&Damage-Mechanismus zu implementieren?  Selbstverständlich ist das Hervorheben des Fortschritts bei diesem Thema untrennbar verbunden mit dem absolut ernüchternden Fazit der Cop27 im Allgemeinen. Von politisch Verantwortlichen wurde es bereits als Erfolg gefeiert, dass das 1,5°-Ziel nicht gänzlich aufgegeben wurde. In Sachen Emissionssenkungen (mitigation) und Ausstieg aus fossilen Energien wurden im Vergleich zum letzten Jahr absolut keine Fortschritte erzielt. So blieb der Umweltministerin wohl nur übrig, die Einigung bei Loss&Damage als „ganz starke Symbolik“ zu bezeichnen, „da es sich um eine Forderung handele, die die Entwicklungsländer [sic] seit 30 Jahren hätten“[1], um ihre Enttäuschung über ihre erste COP als Umweltministerin noch irgendwie zu kaschieren.[2]

Angekündigtes Scheitern?

Auch wenn die Fortschritte bei Loss&Damage nicht zu leugnen sind und in diesem Text näher erläutert werden, darf nicht vergessen werden, dass die Zahlen für Schäden und Verluste eng mit den noch immer steigenden weltweiten Emissionen verbunden sind und damit permanenter Veränderung unterliegen. Damit es sich bei Loss&Damage nicht um Augenwischerei handeln soll, müssten daher zunächst endlich die versprochenen 100 Milliarden Dollar pro Jahr für den Green Climate Fund auf den Tisch gelegt werden und der Anteil der  “adaptation finance“ verdoppelt werden.[3] Die wahren Kosten für Loss&Damage steigen mit jedem Jahr, in dem die Reduktionsziele weiterhin überschritten werden und die wahren Verursacher der Klimakrise am Steuer der COP sitzen und die Agenda mitbestimmen. Alleine der Umstand, dass die nächste Weltklimakonferenz in Dubai von Sultan Al Jaber, dem Minister für Industrie und Spitzentechnologie der Vereinigten Arabischen Emirate, präsidiert wird, gibt wenig Anlass zur Hoffnung auf einen konsequenten Reduktionsplan angesichts seines zweiten Jobs als CEO der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC), der staatlichen Ölgesellschaft und gleichzeitig zwölftgrößter Ölkonzern weltweit, In seiner ersten Rede nach seiner Ernennung versprach er vor dem Atlantic Council-Energieforum eine „COP of Solidarity“ und eine „COP of Action“, da die Welt von den Pariser Klima-Zielen abgekommen sei und nun ein „transformationaler Fortschritt“ nötig wäre.[4] Tasneem Essop, Exekutivdirektorin des Climate Action Network International, warnt, dass Al Jaber als Präsident der COP28 und CEO von ADNOC « gleichbedeutend mit einer vollständigen Vereinnahmung der UN-Klimaverhandlungen durch einen staatlichen nationalen Ölkonzern und die mit ihm verbundenen Lobbyisten für fossile Brennstoffe sein wird.“[5] Die Gefahr, dass diese Kontroverse um offensichtliche Interessenkonflikte die gesamte COP28 überschatten wird, besteht und zeigt wieder einmal, dass im Kampf gegen die Klimakrise zu oft „der Bock zum Gärtner“ gemacht wird.

Eine Frage der Verantwortung

Dass das Thema Loss&Damage ein eklatantes Beispiel für geopolitische Machtspielchen ist, zeigt der Versuch der USA und der EU – welche sich seit Jahrzehnten aus Angst vor Klagewellen gegen einen Kompensationsmechanismus wehren – einen Keil zwischen die vulnerabelsten Länder und Schwellenländer zu treiben. Allein die Ankündigung, der Fonds käme nur den verletzlichsten und nicht allen Ländern des Globalen Südens zugute, hatte das Potential, die Gruppe der G77 (zu denen nach UN-Terminologie auch China gehört) zu spalten. China hat in der Vergangenheit die am stärksten betroffenen Länder immer dann unterstützt, wenn es darum ging, die Länder des Nordens zu kritisieren. Gerade aber von China, als mittlerweile weltweit größtem Treibhausgasverursacher (31%), erwartet die EU, den Fonds entsprechend seiner Verantwortung mitzufinanzieren. China und die Ölstaaten des Golfs lehnen dies aber bisher ab. Diese Taktik des „finger-pointing“ auf China wird sich in den nächsten COPs sicher noch zuspitzen. Auch wenn China langfristig natürlich auch für Loss&Damage aufkommen muss, darf man nicht vergessen, dass die historischen Pro-Kopf-Emissionen Chinas um ein Vielfaches unter denen der USA und westeuropäischer Staaten liegen und deshalb diese Staaten die moralische Frage nach dem fair share zuerst für sich selbst beantworten müssten. Doch selbst wenn die moralischen Argumente für eine jetzige Beteiligung Chinas schwächer sind, so könnte die Beteiligung dieses Landes am Loss&Damage-Mechanismus doch zum Gamechanger werden und die Hauptverursacher der Klimakrise weiter unter Druck setzen. Gemessen an seinem Gesamteinkommen und seinen aktuellen Emissionen läge der faire Anteil Chinas an jedweder heutigen Klimafinanzierung bei 24%, so das ODI.[6] Auffällig ist jedoch, dass China nach keinem der Kriterien des ODI[7] als direkter Beitragszahler zur Klimafinanzierung in Frage kommt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines nuancierten Dialogs, um zu entscheiden, ob ein Land Klimafinanzierung bereitstellen sollte, und zwar auf der Grundlage des Prinzips der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und der jeweiligen Fähigkeiten“.[8]

Umso wichtiger wäre es, dass Petrostates wie Katar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate, die durch Öl- und Gasvorkommen reich geworden sind, verpflichtet werden würden, ihren fairen Anteil zu übernehmen, da diese Länder durch ihre stetig wachsenden Aktivitäten in Öl- und Gasfeldern massiv zu den jetzigen und zukünftigen klimaschädlichen Emissionen beitragen, welche wiederum die Kosten für Loss&Damage weiter explodieren lassen werden.[9]

Trotz der Einigung auf die Einrichtung eines Loss&Damage-Fonds, kann es sich aus Sicht der am meisten von der Klimakrise betroffenen Staaten nur um einen Etappensieg handeln.

Viele Fragen[10] bleiben nämlich weiterhin offen:

  1. Was genau ist unter Verluste und Schäden zu verstehen?
  2. Wie hoch ist der (jährliche) Finanzbedarf für Verluste und Schäden?
  3. Wer ist berechtigt die Mittel zu erhalten?
  4. In welcher Form sollen die Mittel bereitgestellt werden?
  5. Wie sollen die Mittel mobilisiert werden?
  6. Wie soll der Fonds verwaltet werden?
  7. Wie kann eine zuverlässige Inventarisierung vor Ort sichergestellt werden?

Eine Arbeitsgruppe (Transitional Committee) aus 24 Mitgliedern, davon 14 aus Ländern des Globalen Südens, soll sich im Laufe des Jahres ganze 3 Mal versammeln und erst bis zur COP 28 entsprechende Vorschläge erarbeiten. Auch soll bis Ende 2023 feststehen wo sich das Sekretariat des Santiago-Netzwerks ansiedeln wird. Um zum Aufbau von Kapazitäten in den betroffenen Ländern beizutragen und diejenigen zu berücksichtigen die an vorderster Front kämpfen, wäre es wichtig, dass der Gastgeber des Sekretariats im globalen Süden angesiedelt ist.

Die abschließende Beantwortung all dieser Fragen wird mitunter entscheidend sein, um den Stellenwert eines Fonds für Schäden und Verluste aus Sicht der betroffenen Länder einzuschätzen.

Eine kürzlich veröffentlichte Publikation[11] mit dem Titel „An emerging governmentality of climate change loss and damage“ kommt zu dem Schluss, dass die eigentlichen Ursachen von Loss&Damage ausgeblendet bzw. verwischt werden, während westliches Wissen und technokratische Regulierungen im Vordergrund stehen. Des Weiteren wird empfohlen, die „nationale Wende“, also eine Herstellung des lokalen Bezugs, in der Loss&Damage-Forschung fortzusetzen, damit ein anderes Verständnis dafür entstehen kann, wie internationale Diskurse und politische Prozesse vor Ort wahrgenommen und umgesetzt werden.

Das Positionspapier schließt mit dem markigen Hinweis darauf, dass es bei Loss&Damage im Wesentlichen darum geht, die kolonialen Kapital-Klima-Schäden für die menschliche und mehr-als-menschliche (more-than-human) Welt anzugehen. „Das wirklich radikale Potenzial von Loss&Damage ist implizit, muss aber weiterentwickelt und explizit gemacht werden. »[12]

Die Rolle Luxemburgs

Die luxemburgische Regierung betont stets, dass sie einer der größten Pro-Kopf-Geldgeber auf Ebene des Grünen Klimafonds der Vereinten Nationen ist und damit ihrer Verantwortung gerecht werde. Unmittelbar nach Unterzeichnung des Abschlussdokuments der COP27 veröffentlichte das Ministerium für Umwelt, Klima und nachhaltige Entwicklung auf seiner Website ein Statement, nach dem Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro für die Finanzierung von Verlusten und Schäden bereitgestellt werden würden. Des Weiteren würde das Santiago-Netzwerk, das auf der COP25 zur Koordinierung der Bemühungen zur Vermeidung, Verringerung und Berücksichtigung von Verlusten und Schäden eingerichtet wurde, mit 5 Millionen Euro unterstützt werden. Darüber hinaus werde Luxemburg einen weiteren finanziellen Beitrag zur Initiative für Frühwarnsysteme für Klimarisiken CREWS (www.crews-initiative.org) in Höhe von 1,5 Millionen Euro leisten. So lobenswert diese Zusagen auch sind, erfüllen diese nicht das elementare Kriterium der zusätzlichen Finanzierung und bedeuten dementsprechend keine Steigerung gegenüber dem schon vor Monaten angekündigten Beitrag Luxemburgs von 220 Millionen über 4 Jahre zur internationalen Klimafinanzierung.

Das Beispiel der luxemburgischen Regierung zeigt anschaulich, warum es für die internationale Klimafinanzierung so wichtig gewesen wäre, Verluste und Schäden als dritte Säule des neuen kollektiven quantifizierten Ziels zur Klimafinanzierung aufzunehmen. Dies wurde als Ziel für die Finanzierung von Verlusten und Schäden nach 2025 sowohl in der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 als auch im Pariser Abkommen von 2015 verankert. Damit hätten die Verpflichtungen zur Finanzierung von Verlusten und Schäden mit den Schlüsselprinzipien des Übereinkommens in Bezug auf Gerechtigkeit, historische Verantwortung und gemeinsame, aber differenzierte Verantwortlichkeiten und entsprechende Kapazitäten in Einklang gebracht werden können.[13] Dies ist nicht passiert und dadurch werden Verluste und Schäden weiterhin – bewusst oder auch unbewusst – von Regierungen, aber auch in den Medien, mit Adaptation und Mitigation vermischt. Hier bleibt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Jeder Tag zählt

COP26, Glasgow, 2021. Copyright: Cédric Reichel

Was jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, ist, dass Loss&Damage ab nun ein fester Bestandteil der COPs sein wird und die Verantwortungsfrage mit diesem Bekenntnis weiter geklärt wurde. Allerdings wird die eigentliche Arbeit erst ernsthaft damit beginnen, einen kohärenten Rahmen und institutionelle Regelungen zu schaffen und gleichzeitig sicherzustellen, dass neue, angemessene, vorhersehbare und zugängliche Finanzmittel an die gefährdeten Länder und Gemeinschaften fließen. Das Transitional Committee und das UNFCCC-Sekretariat werden in dieser Hinsicht der Dreh- und Angelpunkt sein, und hoffentlich werden sie sich auf die bestehende Arbeit und das Fachwissen verschiedener Akteure stützen, darunter Think Tanks, Netzwerke und Konsortien, die sich bereits mit der Finanzierung von Loss&Damage befassen.

Klimabedingte Verluste und Schäden werden auf Dauer bestehen bleiben und weiter zunehmen, so dass es von entscheidender Bedeutung ist, dafür zu sorgen, dass die am stärksten gefährdeten Menschen der Welt in Krisenzeiten über die notwendigen Ressourcen verfügen. Zwar sind weitere Forschungen und Analysen zu diesem Thema erforderlich, doch sollten die politischen Entscheidungsträger dies nicht als Vorwand nutzen, um die Verteilung von Mitteln an gefährdete Länder zu verzögern. Auf der COP28 müssen die Staats- und Regierungschefs den Loss&Damage-Fonds endlich in vollem Umfang auf den Weg bringen und gleichzeitig Spielraum für seine Weiterentwicklung lassen, um seine Wirkung zu maximieren. Für die Menschen, die täglich an vorderster Front des Klimawandels stehen, zählt jeder Tag.

Um die Diskussionen zu loss&damage auch in Luxemburg greifbarer zu machen, hat die ASTM in einem während der COP27 veröffentlichten policy paper Berechnungen zu den nationalen finan-ziellen Verpflichtungen angestellt. Die errechneten 324 Millionen, die Luxemburg ab 2030 jährlich in den Fonds einzahlen müsste, stellen eine Basis dar, um einen gesellschaftlichen Diskurs darüber anzustoßen, was unter „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten“ zu verstehen ist.[14]

 

Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“ (Victor Hugo)

 

Das Thema Loss & Damages war auch Thema in Episode 23 des ASTM Podcasts « Anescht Liewen ». Zu Gast war Dietmar Mirkes, Experte zu Fragen internationaler Klimafinanzierung. https://open.spotify.com/episode/1lketNWhfJ1DDnsNSnNypv?si=2-MYibopQNSIkWFZpp9Bxw

 


Quellen:

[1] https://www.100komma7.lu/article/aktualiteit/2022-11-22-ivd-joelle-welfring

[2] https://www.rtl.lu/news/national/a/1994796.html

[3] https://www.deutscheklimafinanzierung.de/blog/2022/08/neue-oecd-zahlen-industrielaender-haben-das-100-milliarden-versprechen-gebrochen/

[4] https://www.atlanticcouncil.org/events/flagship-event/global-energy-forum/cop28-president-designate-with-the-world-way-off-track-on-paris-goals-transformational-progress-is-needed/

[5] https://edition.cnn.com/2023/01/12/world/cop28-uae-sultan-al-jaber-president-climate-intl/index.html

[6] https://odi.org/en/publications/a-fair-share-of-climate-finance-an-appraisal-of-past-performance-future-pledges-and-prospective-contributors/

[7] https://cdn.odi.org/media/documents/A_fair_share_of_climate_finance.pdf

[8] https://unfccc.int/files/essential_background/background_publications_htmlpdf/application/pdf/conveng.pdf

[9] https://climatechangenews.com/2022/11/29/who-should-pay-for-loss-and-damage-spoiler-not-china/

[10] https://odi.org/en/insights/operationalising-the-new-loss-and-damage-fund/

[11] Jackson, G., N’Guetta, A., De Rosa, S. P., Scown, M., Dorkenoo, K., Chaffin, B., & Boyd, E. (2023). An emerging governmentality of climate change loss and damage. Progress in Environmental Geography, 0(0). https://doi.org/10.1177/27539687221148748

[12] Jackson, G., N’Guetta, A., De Rosa, S. P., Scown, M., Dorkenoo, K., Chaffin, B., & Boyd, E. (2023). An emerging governmentality of climate change loss and damage. Progress in Environmental Geography, 0(0). https://doi.org/10.1177/27539687221148748

[13] https://iboninternational.org/2022/11/20/on-the-cop27-loss-and-damage-fund-a-win-for-frontline-peoples-and-communities-but-the-struggle-continues/

[14] https://astm.lu/wp-content/uploads/2022/11/Une-affaire-de-responsabilité_ASTM_20221108-1.pdf