Merle Groneweg – Während sich das Zeitalter der fossilen Rohstoffe langsam, aber stetig dem Ende zuneigt, leuchtet das ein oder andere Metall hell am Horizont. Der grellste Stern ist Lithium: Kein Metall steht so sehr für das Versprechen von „sauberer Energie“ und einer darauf basierenden „grünen Ökonomie“. Lithium, benannt nach dem griechischen Wort für Stein (lithos), ist leicht und hoch reaktiv. Es leitet elektrische Energie besonders gut. Bereits heute gehen ca. drei Viertel des jährlich abgebauten Lithiums in Stromspeicher, Tendenz steigend. Doch während die in Smartphones und Laptops verbauten Lithium-Ionen-Akkus verhältnismäßig klein sind, sind die für den Antrieb eines E-Autos benötigten Speicherkapazitäten deutlich größer – und damit auch die Akkus und die Menge der darin verarbeiteten Rohstoffe. Wer sich mit Prognosen für den zukünftigen Lithiumverbrauch beschäftigt, erblickt stets dasselbe Diagramm: Einen niedrigen Balken, der die aktuellen Abbaumengen zeigt, und rechts daneben drei, vier weitere Balken, die den Lithiumverbrauch für 2025, 2030 oder 2050 prognostizieren. Sie basieren dabei auf verschiedenen Annahmen (zum Beispiel unterschiedlich ausgeprägte Nachfrage nach E-Autos, unterschiedliche Fahrzeugtypen, unterschiedliche Batteriemodelle), gehen jedoch stets von einer vielfachen Steigerung des Verbrauchs aus. Die Prognosen für Entwicklung und Verkauf von E-Autos sind inzwischen eng verzahnt mit den Explorations- und Abbauaktivitäten sowie der Preisentwicklung des Leichtmetalls.

Und so geschieht, was lange Zeit undenkbar schien: In ganz Europa werden wieder Lagerstätten erkundet und erschlossen. Lithiumprojekte mit ganz unterschiedlichem Status – das heißt, den verschiedenen Phasen zwischen Erkundung und Abbau – gibt es in Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Österreich Portugal, Serbien, Spanien und Tschechien. Die Lithiumvorkommen im serbischen Jadar-Tal sowie den Lagerstätten in Deutschland und Portugal werden große Potentiale nachgesagt. Portugal ist auch der bisher größte europäische Lithiumproduzent, gleichwohl der Anteil an der globalen Produktion bei unter 2 Prozent liegt und damit eher geringfügig ist. Die Erzeugnisse gehen in die Keramik- und Glasindustrie. Das könnte sich mit großflächigem Lithiumabbau in der „iberischen Pegmatite“ in Spanien und Portugal bald ändern. Doch auch hier werden schwere Umweltschäden befürchtet, beispielsweise bei dem Barroso-Projekt im Norden Portugals von dem britischen Unternehmen Savannah Resources. Anfang Februar hat die portugiesische Umweltbehörde grünes Licht für den Abbau gegeben, nun beginnt die nächste Phase der Planungen und Lizenzvergaben.

In Deutschland ist bisher vor allem das Zinnwald-Projekt bekannt. Hier würde der Bergbau in eine Region zurückkehren, die sogar nach einem Metall benannt ist und heute zu touristischen Besuchen in alte Stollen einlädt. taz Auch hier würde das Lithium klassisch als hartes Gestein im Bergwerk abgebaut werden. Die Deutsche Lithium GmbH hofft, 2025 mit dem Abbau beginnen zu können. Bereits ein Jahr zuvor, im Jahr 2024, soll die Produktion im Oberrheingraben beginnen. Dort möchte das australische Unternehmen Vulcan Energy „geothermisch“ aus dem Rhein holen: Bis zu 200 Grad heißes Thermalwasser soll aus bis zu vier Kilometern Tiefe nach oben gepumpt und dabei Lithium herausgefiltert werden. Die Produktion soll 2024 beginnen –noch allerdings fehlt eine Genehmigung für die Tiefenbohrung.

Der erzählerische Bogen, der in der Berichterstattung über die geplanten Vorhaben aufgespannt wird, ist zumeist derselbe: Der Lithiumverbrauch wird insbesondere aufgrund der steigenden Nachfrage nach E-Autos in die Höhe schnellen, die Prognosen überschlagen sich regelmäßig. Der Abbau und die Weiterverarbeitung von Lithium weist jedoch eine hohe geographische Konzentration auf – und Europa ist höchst importabhängig. Australien dominiert die Produktion und den Export von Lithiummineralien aus dem Hartgesteinsbergbau. China verfügt über den Großteil der weltweiten Raffineriekapazitäten. Die Unternehmen in der Volksrepublik produzieren große Mengen von Lithiumcarbonat und Lithiumhydroxid, vor allem aus den aus Australien importierten Mineralkonzentraten (Spodumen). Hingegen hält Chile, gefolgt von Argentinien, den größten Anteil am Markt für Lithiumcarbonat aus Solen. In den Salzseen der Anden, dem so genannten Lithiumdreieck zwischen Argentinien, Bolivien und Chile, werden äußerst große Vorkommen vermutet. Bei der Gewinnung von Lithium aus den Salzseen verdunsten jedoch hohe Wassermengen. In der chilenischen Salar de Atamaca Region – einer der trockensten Wüstenregionen der Welt– entfallen laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) bereits jetzt 65 Prozent des Wasserverbrauchs auf die Lithiumgewinnung. Bisher liegen kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswirkungen auf die fragilen Ökosysteme vor. Aber auch hier sind nicht nur die ökologischen Folgen der Lithiumgewinnung umstritten. Ebenso dringlich ist die Frage, wer von dem Abbau profitiert – denn die Bevölkerung vor Ort tut dies bisher kaum.

Bei jedem Bergbauprojekt stellen sich aufs Neue sehr dringliche Fragen: Was sind die Umweltfolgen? Welche Unternehmen sind am Abbau beteiligt, welche Rolle spielen staatliche Behörden? Was sind die Auswirkungen für die lokalen Gemeinden? Wer profitiert von dem Projekt? Wer wird reich oder reicher, wer verliert sein Zuhause oder seine Ackerflächen, wer bekommt einen gut bezahlten Job oder einen schlecht bezahlten, wem werden Dividenden ausgeschüttet, wer wird wie entschädigt, wie hoch sind die Steuereinnahmen? Die Fragen sind so vielfältig wie komplex – und sie werden sich zukünftig in Europa wieder häufiger stellen. Viele Jahre ist eine Mine nach der anderen geschlossen worden – auch, weil die im Vergleich zur Konkurrenz höheren Umwelt-, Arbeit- und Sozialstandards den Abbau nicht mehr wirtschaftlich rentabel gemacht haben. Dieses Bild ändert sich nun. Umweltverbände, Klimagerechtigkeitsgruppen und progressive Parteien müssen sich vermehrt wieder mit den sozialen und ökologischen Folgen des Bergbaus auseinandersetzen.

In Serbien war in diesem Zusammenhang gar von einer „Öko-Revolte“ die Rede: Woche für Woche haben Demonstrierende in Serbien Ende letzten Jahres Straßen und Verkehrsknotenpunkte im ganzen Land blockiert. Anlass für den Protest: Der geplante Lithiumabbau im serbischen Jadar-Tal. Für das Bergbauprojekt müssten Dutzende Haushalte umgesiedelt und große landwirtschaftliche Flächen aufgekauft werden. Umweltschützer*innen und Anwohner*innen befürchten zudem, dass der geplante Abbau das Grundwasser irreversibel verschmutzen würde – in einer Region, die sich für rund ein Fünftel der landwirtschaftlichen Produktion Serbiens verantwortlich zeichnet. Aufgrund der andauernden Proteste hatte die serbische Regierung Mitte Januar die Genehmigung für den britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto zurückgezogen; die serbische Premierministerin Ana Brnabic sprach von dem Ende des Projekts. Doch ob sich dies tatsächlich bewahrheitet, ist unklar. Im April wurde in Serbien neugewählt – und es ist durchaus möglich, dass die rechtskonservative „Serbische Fortschrittspartei“ (SNS), die die Regierung angeführt hatte, sich primär um ihre Wiederwahl gesorgt hat. Und die ist gelungen; Präsident Aleksander Vucic ist im Amt geblieben. Vor der Wahl hatte Rio Tinto bereits angekündigt, die ‚juristischen Grundlagen‘ des Rückzugs der Genehmigung zu prüfen. „Jetzt, wo die Wahlen hinter uns liegen, hoffen wir sehr, dass wir alle Optionen mit der serbischen Regierung besprechen können“, sagte ein hochrangiger Konzernvertreter auf der jährlichen Versammlung Rio Tintos. Das Lithium aus dem Jadar-Projekt könne Europas Antriebswende sichern.

Klar, die Bedeutung von Lithium für die Verkehrswende liegt auf der Hand. Doch nun müssen auch die Auseinandersetzungen um die sozialen und ökologischen Folgen des Bergbaus wieder vermehrt auch in Europa diskutiert werden. Die Fragen, die sich Umweltverbände, Klimagerechtigkeitsgruppen und progressive Parteien stellen, werden dabei anderer Art sein als jene der Industrie. Im Fokus darf nicht primär die so genannte „Versorgungssicherheit“ oder der Aufbau geschlossener Wertschöpfungsketten stehen, sondern die Auswirkungen auf Klima und Umwelt ebenso wie auf die anwohnenden Gemeinden. Zugleich werden Fragen aufgeworfen, die es im Kontext der globalen Gerechtigkeit und imperialen Lebensweise zu diskutieren gilt. Ist es ungerecht, sich gemäß einer „not in my backyard“-Logik dem Abbau in Europa stets zu widersetzen? Oder geht es darum, sich für die absolute Reduktion des Rohstoffverbrauchs einsetzen und damit grundsätzlich auch gegen die Neueröffnung von Minen? Klar ist, dass im Interesse von Klima und Umwelt die Gebote der Kreislaufwirtschaft im Vordergrund stehen müssen – und an vorderster Stelle jenes der Reduktion. Der Dreisatz aus „Lithium, E-Autos, Verkehrswende“ darf nicht unterhinterfragt übernommen werden: Nach wie vor werden an alternativen Antriebsvarianten und Batterieformen geforscht. Zugleich muss massiv in die Forschung und Entwicklung von Recyclingverfahren investiert werden. Und zu guter Letzt muss eine nachhaltige Verkehrswende weit über die Antriebswende hinausgehen: Priorität muss die Reduktion der Autos sein, nicht der Austausch von Motoren. Die übrig gebliebenen Autos müssen vor allem möglichst klein sein und einen möglichst hohen Anteil recycelter Rohstoffe beinhalten. Es gilt, die Energie-, Verkehrs- und Rohstoffwende zusammenzudenken.

Merle Groneweg ist freie Mitarbeiterin bei PowerShift. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf dem Rohstoffverbrauch von Autos sowie der Verschränkung von Rohstoff- und Handelspolitik. Außerdem interessiert sie sich für EU-China-Wirtschaftsbeziehungen. Sie hat regionalwissenschaftliche Studien in Berlin, Beijing und Paris (B.A.) studiert sowie globale politische Ökonomie in Kassel (M.A.).

 

Dieser Artikel ist eine aktualisierte und überarbeitete Version des Artikels « Tschüss Kohle, hallo Lithium? », der am 19. Februar 2022 im Online-Magazin klimareporter erschien. (https://www.klimareporter.de/strom/tschuess-kohle-hallo-lithium)