Abenddämmerung in Den Haag

Wie es dazu kam, dass Mister Duterte Wahlkampf aus der Gefängniszelle macht.

Welch eine Familiensaga! Da ist die philippinische Vizepräsidentin Sara Duterte seit Anfang Februar mit vier Amtsenthebungsverfahren konfrontiert, ihr Vater und Familienpatriarch, Ex-Präsident Rodrigo Duterte, seit dem Abend des 12. März in einer Gefängniszelle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) im niederländischen Den Haag einsitzt. Der „Messias und Heilsbringer der Filipinos“ und „Bestrafer im Antidrogenkrieg“ 1, als der sich Duterte öffentlich wiederholt selbst bezeichnete, ist vorerst verstummt und in sicherem Gewahrsam. Was ihn nicht daran hindern dürfte, dennoch in seiner Heimat anlässlich der Halbzeitwahlen am 12. Mai – erneut – zum Bürgermeister von Davao City auf der südlichen Insel Mindanao gekürt zu werden (Aktualisierung: siehe untenstehenden Kasten)

Festnahme in Manila

Am 11. März 2025 geschah auf dem internationalen Flughafen der philippinischen Metropole schier Außergewöhnliches. Rodrigo Duterte, amtierender 16. Präsident der Republik der Philippinen von 2016 bis 2022, wurde von Beamten der internationalen kriminalpolizeilichen Organisation (kurz: Interpol) und hochrangigen Mitgliedern der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) festgenommen, nachdem er dort, von einer Wahlkampfveranstaltung in Hongkong kommend, kurz zuvor gelandet war. Präsentiert wurde dem einst starken Mann ein ebensolches Dokument, das es in sich hat. Es war dies ein 15 Seiten umfassender Haftbefehl 2, nach dessen Verlesung sich Duterte wenige Stunden später in einem von der philippinischen Regierung gecharterten Flugzeug wiederfand, das ihn nach einem Zwischenstopp in Dubai zum Flughafen Rotterdam Den Haag transportierte. Dort landete die Maschine am Nachmittag des 12. März und Duterte verbrachte die Nacht auf den 13. März in einer Gefängniszelle des IStGH, in Den Haags Stadtteil Scheveningen.

Als Hauptanklagepunkte werden Duterte Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit mutmaßlichen außergerichtlichen Tötungen vorgeworfen, die vor allem während seiner sechsjährigen Amtszeit im Zuge des von ihm entfesselten „Drogenkriegs“ begangen wurden. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass dieser bis zu 30.000 Menschen das Leben kostete – willkürlich und systematisch ermordet, weil sie vermeintlich Drogen besaßen oder nahmen. Offiziellen Statistiken der PNP zufolge wurden im „Drogenkrieg“ mehr als 6.000 Filipinos getötet. Das Gros der Opfer waren arme Schlucker aus den Elendsvierteln der Großstädte. Die Dramaturgie des Grauens folgte einem Grundmuster: Beamte der PNP oder deren Vertreter durchkämmten nachts ohne Durchsuchungsbefehl ganze Wohnbezirke, verhafteten Verdächtige, richteten sie kurzerhand hin und fälschten in der Regel „Beweise“, um ihre Machenschaften zu rechtfertigen. Nur eine sehr geringe Anzahl der Tausenden von Fällen wurde untersucht oder strafrechtlich verfolgt, wobei es in lediglich vier Fällen zu Verurteilungen kam – und zwar ausschließlich von rangniedrigen Polizeibeamten wegen außergerichtlicher Tötungen. Der IStGH hatte bereits im Herbst 2011 erste Ermittlungen gegen Duterte wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen und entsprechend die Einleitung einer formellen Untersuchung angeordnet, auf die Duterte – damals noch Bürgermeister von Davao City – mit wüsten Tiraden reagierte.

„Lambada Boys“, Täter und Werkzeug

Was allein die langjährige Amtszeit Dutertes als Bürgermeister von Davao City betrifft, so heißt es auf Seite 9 des Haftbefehls: „Als Mr. Duterte 1998 zum ersten Mal Bürgermeister von Davao City wurde, gründete er die ‚Lambada Boys‘, die als ‚Todesschwadron‘ fungierten, bestehend aus Polizeibeamten und nichtpolizeilichen Auftragskillern, um Kriminelle zu töten. Anfang der 1990er-Jahre wurden die ‚Lambada Boys‘ in ‚Davao Death Squad‘ (DDS) umbenannt. Als Gründer und Leiter der DDS und später als Staatsoberhaupt der Philippinen vereinbarte Mr. Duterte gemeinsam mit hochrangigen Regierungsbeamten und Mitgliedern der Polizei (den ‚Mittätern‘) und anderen Personen, Menschen, die sie als mutmaßliche Kriminelle oder Personen mit kriminellen Neigungen identifizierten, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Drogendelikte, zunächst in Davao und später landesweit, zu ‚neutralisieren‘. Das Wort ‚neutralisieren‘ wurde von den an den Operationen Beteiligten als ‚töten‘ verwendet und verstanden. Ziel dieser Vereinbarung war es‚ die wachsende Kriminalität zu bekämpfen‘, indem man ‚Kriminelle auf sehr verdeckte und geheime Weise tötet‘, ohne ‚sich an die grundlegenden Strafverfolgungs- oder Ermittlungsmaßnahmen zu halten‘, die sich angeblich als unwirksam erwiesen hatten, die Verbrechen zu beseitigen oder zu verringern.“

Der IStGH geht davon aus, „dass Mr. Duterte in seiner Rolle als Leiter der DDS und später als Präsident der Philippinen die unmittelbaren Täter der Verbrechen als Werkzeuge zur Begehung von Straftaten benutzt hat“. (Übersetzung: RW) 3

Die Richter des IStGH betonten bereits damals, der „Drogenkrieg“ könne nach ihnen bekannter Faktenlage nicht als „legitime Strafverfolgung“ angesehen werden. Die Tötungen seien weder legitim noch schienen sie „Auswüchse eines legitimen Einsatzes“ zu sein. Alle bis zu dem Zeitpunkt vorgelegten Dokumente deuteten vielmehr darauf hin, dass es „um eine breite und systematische Attacke gegen die Zivilbevölkerung“ gehe.

Die Philippinen reagierten prompt und verweigerten Ermittlern des IStGH die Einreise ins Land. Mehr noch: Duterte zeigte sich persönlich dermaßen erbost, dass er – weniger als zwei Jahre als Präsident im Amt – im Frühjahr 2018 den Rückzug seines Landes aus dem Gericht erklärte. Dieser wurde am 17. März 2019 rechtskräftig, wenngleich nach dem Römischen Statut, dem Grundlagenvertrag des IStGH, der Strafgerichtshof auch danach für jene Verbrechen zuständig bleibt, die in der Zeit begangen wurden, in der die Philippinen Vertragsstaat waren.

Der Gerichtshof schlägt zurück

Noch vor der Landung auf dem Flughafen Rotterdam Den Haag veröffentlichte Duterte auf seiner Facebook-Seite, und der eines engen Beraters, eine Videoerklärung, in der er sich an seine Landsleute wandte und ihnen versicherte, er sei „Okay“ und sie sollten „sich nicht sorgen“. „Ich bin derjenige“, so Duterte wörtlich, „der unsere Strafverfolgungsbehörden und das Militär anführt. Ich habe gesagt, dass ich euch beschützen werde, und ich werde für all das verantwortlich sein. Ich habe der Polizei und dem Militär gesagt, dass es meine Aufgabe war und dass ich verantwortlich bin.“ Bereits im November 2024 hatte Duterte anlässlich von Anhörungen im philippinischen Kongress zum „Drogenkrieg“ dasselbe über die Übernahme von Verantwortung gesagt 4 ; vorgetragen in schnoddrig-arrogantem Ton, was durchweg sein Markenzeichen war, und bar jedweder Reue.

Anlässlich seiner ersten Anhörung vor dem IStGH am 14. März trat der Ex-Präsident verhaltener auf, während sich sein einstiger Exekutivsekretär und nunmehriger Rechtsberater Salvador Medialdea sowie Dutertes ehemaliger Pressesprecher Harry Roque bitter darüber beklagten, dass ihr Mandant medizinisch nicht angemessen betreut werde – ja, dieser darüber hinaus erdulden musste, in Manila „gekidnappt“ worden zu sein.5

Bekanntlich ist des einen Leid des anderen Freud. Für die Hinterbliebenen der zahlreichen Opfer von Dutertes „Drogenkrieg“ sowie zahlreiche Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland war der 11. März ein Tag großer Genugtuung und unverhoffter Freude. In einer am selben Tag veröffentlichten Pressemitteilung von Human Rights Watch erklärte deren stellvertretende Asien-Direktorin Bryony Lau, die Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Duterte und seine Überstellung nach Den Haag seien „ein längst überfälliger Erfolg im Kampf gegen die Straflosigkeit, mit dem die Opfer und ihre Familien ein Stück näher an Gerechtigkeit rücken könnten“. Sie fügte hinzu, dies sende „eine Botschaft an all jene, die Menschenrechte missachten, dass sie eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden könnten“.

Große Erwartungen an die internationale Strafjustiz

Gerade jetzt, wo der IStGH selbst von einigen Regierungen angegriffen wird- zuletzt durch die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, den Chefankläger des Gerichts, Herrn Karim Ahmad Khan, zu sanktionieren – bekräftig die Verhaftung von Duterte und seine Überstellung nach Den Haag die Relevanz des Gerichts und unterstreicht seine Bedeutung für die Sicherstellung der Rechenschaftspflicht bei schweren Verbrechen, so die Einschätzung von Human Rights Watch. Dem ist vollumfänglich zuzustimmen – in der Erwartung, dass sich zu Mr. Duterte alsbald auch Mr. Benjamin Netanjahu als Zellennachbar dazugesellt.

In dem am 12. März veröffentlichten Leitartikel in Manilas auflagenstarker Tageszeitung Philippine Daily Inquirer mit dem Titel „Der Tag der Abrechnung kommt für Duterte“ heißt es: „Nachdem die Regierung die Gelegenheit verpasst hat, Duterte vor philippinischen Gerichten den Prozess zu machen, muss sie diesen Wendepunkt nutzen, um den Kurs der Politik des Landes zu ändern.“ (Übersetzung:RW)

In den vergangenen Monaten hat die philippinische Regierung unter Ferdinand Marcos Jr. ihre Position zur Untersuchung des IStGH geändert. Bis vor Kurzem noch bestritt die seit Sommer 2022 amtierende Marcos-Regierung die Zuständigkeit des Gerichts für die mutmaßlichen Straftaten. Nach dem tiefen politischen Zerwürfnis und einer dramatisch eskalierten dynastischen Fehde zwischen den Lagern Marcos und Duterte im vergangenen Jahr 6 schwächte die Marcos-Regierung ihre Rhetorik gegenüber dem IStGH ab und erklärte erst um die Jahreswende, mit Interpol zu kooperieren, falls ein Haftbefehl ausgestellt würde. Das, so Marcos, sei ein Gebot der Gegenseitigkeit, zumal Interpol sich bis jetzt ihrerseits kooperativ zeigte, wenn es darum ging, straffällig gewordene und ins Ausland geflüchtete Filipinos zu ergreifen und sie den Behörden in Manila zu überstellen.

Gegner trotz Gemeinsamkeiten. Präsident Bongbong Marcos und sein Vorgänger Rodrigo Duterte
im August 2023.
© President of the Philippines’ Communications Office; PD

Finsterer politischer Hintergrund

In diesem Zusammenhang ist kritisch anzumerken, dass der Präsident Marcos bei alledem zumindest knallhart eigen-
nützige politische Kalküle verfolgt, die selbstredend unerwähnt bleiben. Auch unter der amtierenden Regierung hal-
ten Menschenrechtsverletzungen, einschließlich außergerichtlicher Tötungen, an. Überdies herrscht landesweit eine ungebrochen hysterisch-antikommunistische Stimmung vor, die an die finstere Ära des McCarthyismus in den USA erin-
nert; freilich mit fataleren Folgen, wenn Angriffe auf Sozialaktivisten und zivilgesellschaftliche Gruppen sowie Bombardierungen im Hinterland unter dem Deckmantel der „Terrorismusbekämpfung“ tödlich enden.

Last but not least finden in den Philippinen am 12. Mai Halbzeitwahlen statt, in denen bereits eine wichtige Weichenstellung mit Blick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2028 erfolgt.7 Es geht dabei buchstäblich um die Zukunft oder das schiere Überleben eines dominanten Familienclans auf Kosten eines ebenbürtigen Rivalen. In diesem Sinne bleibt abzuwarten, wann, wie und unter welchen Vorzeichen die bis dato vier Amtsenthebungsverfahren gegen die Duterte-Tochter und (noch) Vizepräsidentin Sara Duterte „exekutiert“ werden. Wenngleich über ein einmal verkündetes Amtsenthebungsverfahren eigentlich – wie es wörtlich heißt – „forthwith“ (was übersetzt nichts anderes bedeutet als „unverzüglich“ oder „sogleich“) entschieden werden soll, verdichten sich die Indizien, dass darüber wohl erst nach den Wahlen verhandelt wird.

Nie zuvor in der Geschichte der am 4. Juli 1946 von den USA unabhängig gewordenen Republik der Philippinen war die politische Lage so aufgewühlt, die oberste Staatsführung so zerstritten und die gesellschaftlichen Verhältnisse dermaßen polarisiert und antagonisiert, wie das im Frühjahr 2025 der Fall ist. Wenn der in Den Haag einsitzende Duterte erneut zum Bürgermeister von Davao City gewählt wird, dürfte das die Spannungen zwischen seinen Befürwortern und Geg-
nern zusätzlich befeuern. Nicht auszuschließen, dass sich solche Spannungen angesichts total verhärteter Fronten gewaltsam entladen.

 

Nach den Halbzeitwahlen : Welcher Duterte wird Bürgermeister in Davao ? 

Julie Smit – Mit einem deutlichen Vorsprung vor seinem nächsten Konkurrenten gewann der ehemalige Präsident Rodrigo Duterte am 12. Mai die Bürgermeisterwahl in Davao City, ein Amt, das er vor seiner Präsidentschaft bereits mehr als 20 Jahre innehatte. Dieser Sieg belegt, dass seine persönliche Beliebtheit, wie die des gesamten Duterte-Clans, in seiner Heimatstadt keineswegs nachgelassen hat. Sein Sohn, Sebastian Duterte, wurde zum Vize-Bürgermeister gewählt, während ein weiterer Sohn sowie zwei seiner Enkel auch politische Ämter in Davao erhielten. 

Ob er sein Amt in Davao wird antreten können, ist aber keineswegs sicher. Es stellt sich nämlich zunächst einmal die Frage, ob er in einem ausländischen Gefängnis seinen Amtseid wie üblich vor einem philippinischen Richter oder Beamten wird ablegen können. Momentan versuchen seine Anwälte, dafür Lösungen zu finden. 

Sollte ihm dies gelingen, würde sich gleich die zweite Frage stellen: ob er langfristig die Amstgeschäfte auf Distanz wahrnemen könnte, da er im Gefängnis keinen Zugang zum Internet hat und nur begrenzt telefonieren darf. Laut philippinischen Rechtsexperten müsste das Innenministerium entscheiden, ob es sich im Fall von Duterte um eine vorübergehende oder eine dauerhafte Abwesenheit handele. Im ersten Fall würde sein Sohn Sebastian die Funktion des Bürgermeisters stellvertretend ausüben, sonst müsste der Sohn das Bürgermeisteramt selbst übernehmen.

 

Anmerkungen

1 Rainer Werning, „15 Monate Dutertismo –Annäherungen an ein philippinisches Phänomen“, NachDenkSeiten, 9. Oktober 2017 sowie President Rodrigo Duterte’s Killing Fields and People’s War in the Philippines: An Interview by Andy Piascik with Prof. Dr. em. Epifanio San Juan, Jr. — Hampton Institute, 20. Dezember 2016.

2 Ausgestellt wurde dieser am 7. März 2025 in Den Haag mit dem Aktenzeichen Nr. ICC-01/21 und am selben Tag unterzeichnet von den drei Richterinnen Iulia Antoanella Motoc (Vorsitz), Reine Adélaïde Sophie Alapini-Gansou & María del Socorro Flores Liera: icc-cpi.int/sites/default/files/CourtRecords/0902ebd180aeb09d.pdµ

3 Ebd., S. 9

4 Siehe Rainer Werning: „Beklemmendes Kongressspektakel in Manila“, NachDenkSeiten, 24. November 2024.

5 International Criminal Court ICC-01/21-83, Warrant of Arrest for Mr Rodrigo Roa Duterte & Rodrigo Roa Duterte makes first appearance before the ICC: confirmation of charges hearing scheduled for 23 September 2025 sowie Duterte’s Arrest Puts ICC In Line Of Fire; Lawyer Drops Bombshell|’Can’t Correct Wrong By Wrong’

6 Rainer Werning, „Im Taumel eines Rosenkriegs: Possen, Ränke und Kabalen in Manila“, NachdenkSeiten, 27. Oktober 2024.

7 Ramon Royandoyan and Francesca Regalado, „Duterte’s arrest raises stakes in Philippine midterm elections“, NIKKEI Asia, 12. März 2025. Dies ist eine leicht gekürzte und angepasste Fassung eines am 23. März 2025 auf den NachDenkSeiten online veröffentlichten Beitrags.

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